Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
Vom Netzwerk:
Aber dann blieb sie doch stehen.
    Ein schwarzer Passat hielt neben ihr. Der Fahrer lehnte sich herüber und öffnete die Beifahrertür. »Komm, mach schon, steig ein!« Es war Manuel.
    Sonia setzte sich auf den Beifahrersitz. »Ich wußte nicht, daß du ein Auto hast.«
    »Nicht alle Männer geben mit ihren Autos an.«
    Obwohl die Scheibenwischer auf der höchsten Stufe liefen, verflossen die Häuser hinter der Windschutzscheibe. »Über das Wetter reden wir nicht, abgemacht?« sagte Manuel.
    »Nein. Nur Touristen reden übers Wetter. Und Hoteliers.«
    Schon an der Tür zum Behandlungsraum spürte Sonia, daß etwas nicht stimmte. Eine durchsichtige Farbe ging von diesem Raum aus. Sie konnte sie nur noch nicht zuordnen.
    Sie streckte die Hand nach der Türklinke aus, drückte sie vorsichtig und trat ein.
    Auf dem Massagebett, im Farbenspiel der Lichtorgel, lag eine Frau, bis zum Nacken zugedeckt. Sie lag auf dem Bauch. Sonia konnte ihr Gesicht nicht sehen.
    Die Farbe, die alle anderen übertönte, ging von ihr aus und umgab sie als farbiger Schatten. Es war ein dünnflüssiges Ultramarin.
    Sonia wußte sofort, wer sie war.

9

    »Bleib, Sonia.«
    Sie mußte geahnt haben, daß Sonia den Raum sofort wieder hatte verlassen wollen.
    »Du brauchst mich nicht zu massieren. Ich muß nur mit dir reden.«
    Immer noch der gleiche Tonfall. Diese Freundlichkeit, die keinen Widerspruch duldete. Und wie früher setzte sie sich damit auch bei Sonia durch. Sie schloß die Tür und ging zum Kopfende des Massagebettes.
    Da lag sie. Das Gesicht abgewandt auf die verschränkten braunen Arme gelegt. Den graublauen schulterlangen Mädchenschnitt unter einem Schminkturban verborgen. Die Nägel der noch immer nicht alten Hände im immer noch gleichen Rosa lackiert. Pearl Orchid, Sonia mußte es ihr früher aus den Duty Free Shops mitbringen. Nicht, weil sie sich den vollen Preis nicht hätte leisten können. Es war nur eine der unzähligen Maßnahmen, durch die sie sich ihre Präsenz in der Ehe ihres Sohnes sicherte.
    »Gefällt dir die Arbeit?«
    »Manchmal mehr, manchmal weniger. Jetzt, zum Beispiel, weniger.«
    »Eine Stunde mußt du durchhalten. Ich habe dafür bezahlt.«
    »Ich bin keine Nutte, mit der man zum gleichen Tarif entweder vögeln oder reden kann.«
    »Ich weiß nichts über Nutten.«
    »Ich schon. Dank deinem Sohn.«
    Einen Moment blieb es still. Sonia buchte den Punkt für sich.
    Aber Frédérics Mutter hatte sich schnell erholt. »Bei einem Mann, der zu Prostituierten geht, stimmt etwas in der Ehe nicht.«
    Sonia antwortete nicht.
    »Entschuldige, Sonia. Das wollte ich nicht sagen.«
    Daß Maman sich entschuldigte, war eine neue Erfahrung. »Was willst du?«
    »Nur eine Unterschrift.«
    »Die bekommst du nicht.«
    Maman drehte den Kopf. Ihr Gesicht war jetzt Sonia zugewandt. Sie sah gut aus. Mundhebermuskeln neu gestrafft, Augenbrauen weiter angehoben, Schlupflider frisch beseitigt.
    »Ich verstehe dich ja, Sonia.«
    »Das bezweifle ich.«
    »Ich habe mit Paps auch schwierige Zeiten durchgemacht.«
    »Ach. Hat er auch versucht, dich umzubringen?«
    »Frédé hat das nicht versucht, Sonia. Das war ein Unfall. Ich kenne ihn. Er ist ein wenig jähzornig, aber Frédé kann keiner Fliege etwas zuleide tun.«
    Sonia rollte mit dem Zeigefinger ihre Unterlippe nach unten und beugte sich zu ihr hinunter. »Hier! Siehst du diese Narbe? Die stammt von der Faust deines sanftmütigen Söhnchens. Und daß ich dir keine Schußwunde zeigen kann, liegt nur daran, daß er zu besoffen war, mich zu treffen.«
    »Vorübergehend unzurechnungsfähig.«
    »Und wer garantiert mir, daß er sich nicht wieder eine vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit ansäuft und zu Ende bringt, was er begonnen hat?«
    »Ich.«
    »Wie?«
    Zum ersten Mal lächelte ihre Exschwiegermutter. »Ich habe einen gewissen Einfluß auf Frédé.«
    »Keinen guten, laß dir das gesagt sein.«
    Maman verbiß sich die Antwort. In ihrem liebenswürdigsten Tonfall sagte sie: »Komm, Sonia, sei lieb. Dort auf dem Tisch liegt der Antrag, das Verfahren einzustellen. Du bist die einzige, die ihn unterschreiben kann.«
    »Vergiß es.«
    Maman schenkte ihr ein mütterliches Lächeln. »Ich mach dir einen Vorschlag: Unterschreib provisorisch. Schau, wie er sich benimmt. Wenn er dir in den nächsten sechs Monaten auch nur den kleinsten Anlaß gibt, kannst du die Zustimmung sofort widerrufen, und das Verfahren wird wiederaufgenommen.«
    Strafgesetzbuch, Artikel 66ter, Absatz 2. Sonia hatte

Weitere Kostenlose Bücher