Der Teufel von New York
Fall ist gelöst.«
Polizeichef Matsell sah überrascht von seinen Papieren auf. Er verschränkte die Arme über seiner gewaltigen blauen Weste und musterte mich. Durchforstete mein Gesicht wie die Titelseite einer Zeitung. Dann las er darin – und lächelte.
»Sie haben das Ganze aufgedröselt, bis hin zu dem Tag, an dem alles begann?«
»Alles.«
»Und Sie haben den Schuldigen gefunden?«
»Zweieinhalb. Es gab zweieinhalb Schuldige.«
Er blinzelte, die grauen Augenbrauen zuckten wie zwei Raupen. »Einundzwanzig Opfer alles in allem, stimmt’s? Keine weiteren schlechten Nachrichten?«
»Nein.«
»Wie viele Verhaftungen?«
»Keine.«
»Mr. Wilde«, sagte er, beugte sich vor und faltete die dicken Finger über seinem Wörterbuch, »normalerweise sind Sie besser im Reden. Ich schlage vor, Sie gewinnen Ihre alte Eloquenz zurück. Und zwar sofort.«
Also erzählte ich ihm alles.
Nun ja, das meiste. Manche Teile, die ich selbst noch nicht so richtig anschauen konnte, ließ ich aus. Die Tatsache, dass Mercy sich selbst gerettet hatte, und wie sie nass und reglos und blau auf dem Boden ihres Schlafzimmers lag. Die tiefe Scham Dr. Palsgraves darüber, dass er die Leiche eines Kindes in einen Abfallkübel geworfen hatte, so dass er kaum darüber sprechen konnte, ohne Herzrasen zu bekommen.
Wie locker ich diese Stricke geknotet hatte. Wie überaus schlecht ich den Reverend an den Stuhl gefesselt hatte.
Als ich fertig war, lehnte der Polizeichef sich zurück. Tippte sich mit dem zarten, fedrigen Ende seines Federkiels an die Unterlippe. Dachte eine Weile über das Ganze nach.
»Sind Sie sicher, dass Dr. Palsgrave nichts davon wusste, dass Madam Marsh beim Tod der Kinder nachhalf?«
»Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen. Es hätte allem entgegengestanden, an das er glaubt.«
»Dann muss ich sagen, dass ich nicht wüsste, warum wir einen Prozess anstrengen sollten wegen einer Straftat, die im Grunde eine Grabschändung ist, wo es doch nicht einmal ein Grab gegeben hat«, sagte er langsam und bedächtig.
»Sehr richtig«, stimmte ich ihm zu.
»Thomas Underhill hat ein volles Geständnis abgelegt, bevor er sich erhängte, sagen Sie?«
»Ja.«
»Ist das alles, was Sie für mich haben? Eine Geschichte?«
Ich zog das kleine Büchlein aus meiner Manteltasche und legte es auf den Tisch.
»Das Tagebuch des Opfers aus St. Patrick’s, Marcas hieß er. Der Reverend hat es behalten, Gott weiß, warum. Es lag in seinem Studierzimmer.«
Als Nächstes zog ich das Blatt Papier heraus, auf dem mit zittriger Handschrift Reverend Thomas Underhill geschrieben stand. »Und Pfarrer Sheehy hat bezeugt, dass der Reverend als Einziger in jener Nacht einen großen Sack in die Kathedrale gebracht hatte und dass er ihn als Einzigen nicht hinausgehen sah. Der Sack, in dem sich das mit Drogen betäubte Kind befunden hatte, war nicht mehr in St. Patrick’s, als Pfarrer Sheehy die Leiche entdeckte. Und es erklärt, warum die Türen nicht aufgebrochen wurden. Es passt alles zusammen.«
»Dadurch kamen Sie auf den Reverend? Weil er mit einem großen Sack zu der Versammlung ging?«
»Nein, es war andersherum. Dass er einen Sack dabeihatte, war mir zunächst unbekannt, doch ich wusste, dass es eine Versammlung gegeben hatte, aber keinen Einbruch.«
Fast trat ein Lächeln auf Matsells Lippen. »Und das alles hat Ihnen ... der Zufall eingeflüstert?«
»Nein«, seufzte ich erschöpft. »Ich habe Metzgerpapier benutzt.«
»Metzgerpapier.«
Ich nickte und stützte den Kopf auf die Hände. Ich wusste nicht mehr, wann ich zum letzten Mal etwas gegessen hatte, und meine Augenlider brannten vor Müdigkeit.
»Dann fassen wir mal zusammen. Gegen den Doktor wollen wir nichts unternehmen, und der Reverend hat sich der weltlichen Justiz entzogen. Und Sie sagen, wir könnten Silkie Marsh keines Verbrechens überführen.«
»Nicht wirklich. Wir dürfen sie nicht mehr aus den Augen lassen. Früher oder später werden wir sie zu fassen kriegen, und dann wird sie an einer Schlinge baumeln.«
»Das sehe ich auch so. Ich nehme aber an, Sie haben sie bereits zur Rede gestellt?«
»Ja, für dreihundertfünfzig Dollar.«
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber George Washington Matsell entfuhr ein leichtes Aufkeuchen. Es war ein schöner Gedanke, dass ein Mann, der sich von einem heranstürmenden Stier nicht aus der Ruhe bringen ließ, tatsächlich überrascht war von der Vorstellung, dass ich ein gewaltiges Bestechungsgeld
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