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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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jedermann auf die gleiche Weise erleuchteten, die Sterne, die Kerzen und die Leuchtkäfer. Jeder verblasste, als das Tageslicht verschwand, nur noch sichtbar als silbriger Umriss und vielleicht durch das kurze Aufleuchten eines Streichholzes, das eine dünne Zigarre berührte.
    Plötzlich wurde mir klar, dass es in meinem Traum, ein Fährboot auf dem Hudson zu besitzen, immer nur darum gegangen war, einfach woanders zu sein. Auf Staten Island oder in Brooklyn etwas Eigenes zu besitzen, eine Arbeit an der frischen Luft zu haben, ein rostiges, salzverkrustetes Mittel zum Broterwerb am Laufen zu halten, das sind so die Sachen, von denen man träumen muss, wenn man als Barmann arbeitet. Eigentum, Tageslicht, Land. Ich hatte von jenem Sommer geträumt, in dem ich zwölf Jahre alt war und plötzlich so glücklich auf dem Wasser, mit demSalz in meinem Haar, denn seither war ich oft schrecklich unglücklich gewesen. Aus keinem anderen Grund. Es war wie ein hübsches Bild, das in einem fensterlosen Mietzimmer an die Wand genagelt ist. Nur eine kleine Erinnerung daran, dass es auch andere Lebensweisen gibt, dass man früher einmal mit sich im Reinen gewesen ist, und dass das irgendwann wieder so sein könnte. Wie eine Melodie, die man pfeift, um die alltäglichen Wehwehchen zu vertreiben.
    Und ich war faul gewesen, was meinen Traum anbelangte. Hatte mir eine Vision herausgepickt, von der ich annahm, dass sie zu mir passte, und mir nie die Mühe gemacht, sie einmal richtig anzuprobieren. Weil ich mir New York nicht ausgesucht hatte. Die Menschen kommen hierher, immer mehr, Tausende und Abertausende, elende Menschenmassen, die so groß sind, dass manch einer Angst bekommt, sie könnten uns unter sich begraben, aber keinem fällt auf, dass diese Menschen die eigentlich Glücklichen sind. Die Emigranten entscheiden sich für den Ort, an den sie gehören. Natürlich können sie nicht darüber entscheiden, was aus ihnen wird oder ob sie Erfolg haben werden, aber doch darüber, wo sie sein wollen. Geographie und Willenskraft gebündelt zu einer einzigen, vorwärts gerichteten Bewegung.
    Es fühlte sich gut an, Silkie Marsh zu sagen, dass ich nirgendwo anders hingehen würde. Als hätte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben frei für etwas entschieden und mich nicht einfach treiben lassen. Ich hatte meine Fahne in die Erde gerammt. Diese Wahl konnte mich früher oder später das Leben kosten, falls sie ein Wörtchen dabei mitzureden hatte, aber die Fahnenstange und das Land gehörten mir .
    Ich riss mir die Maske ab. Sie passte nicht mehr recht, war seit dem Krawall ohnehin an einer Seite ausgefranst, und mit der Nähnadel konnte ich noch nie gut umgehen. Ich warf sie beim Ausgang von Niblo’s Gardens fort und ließ den sauber gestutzten Rasen, die Silhouetten der Stadtbewohner und die unzähligen leuchtenden Punkte hinter mir.
    *
    Ich fand George Washington Matsell in seinem Büro in den Tombs. Er saß über seinen Papierstapel gebeugt, kritzelte Wörter aus der Gaunersprache und deren Bedeutung nieder, während der bläuliche Himmel im Fenster hinter ihm sich langsam schwarz färbte.
    Es sah nicht so aus, als habe der Aufstand ihn sonderlich mitgenommen oder auch nur ermüdet. Das ärgerte mich fast. Denn hinter meinen Lidern spürte ich hart und unerbittlich den drohenden Zusammenbruch, ich hatte mich völlig verausgabt. Doch dann machte ich mir klar, dass er an dem Wörterbuch schrieb, weil er seine Gegner besser verstehen wollte. Ich erinnerte mich, dass der Polizeichef schon eine ganze Reihe von Krawallen miterlebt und vor kaum zwei Monaten, als er nur Staatsrichter war und es noch keine Polizei gegeben hatte, halb Manhattan zu einem traurigen Haufen statistischer Überreste hatte niederbrennen sehen.
    »Was zum Teufel tun Sie hier?«, sagte er, ohne sich die Mühe zu machen, mich anzusehen. »Ich hatte Sie im August erwartet!«
    »Ja, heute haben wir den ersten September, glaube ich«, sagte ich zerstreut und ein wenig erstaunt. »Sie haben recht, das habe ich gar nicht bemerkt.«
    »Aber vielleicht haben Sie bemerkt, dass meine Laune nicht besonders gut ist. Haben Sie bemerkt, dass ich fast dreißig Männer im Gefängnis sitzen habe und acht Polizisten im Spital liegen? Oder dass Five Points nur noch ein gigantisches Meer aus zerbrochenen Fensterscheiben ist? Ich frage mich, ob Sie es bemerken werden, wenn Sie jetzt gleich von mir gefeuert werden, ganz egal, wer zufälligerweise Ihr Bruder ist.«
    »Es ist vorbei, Chef. Der

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