Der Thron der roten Königin
niemanden, mit dem ich sprechen kann, nur meinen Gott, doch nicht immer kann ich seine Stimme hören, als würde der Regen sein Gesicht verwischen und der Wind seine Worte fortwehen. Deswegen weiß ich mit Gewissheit, dass es nur ein Hexenwind sein kann. Ich verbringe meine Tage am Fenster, wo ich in den Garten hinausblicke und zusehe, wie der Fluss brodelnd über die Gartenmauer steigt und mit jeder Welle weiter den Obstgarten heraufleckt, bis die Bäume sich den schweren Wolken am Himmel entgegenstrecken, als flehten sie um Hilfe. Wann immer eine meiner Ladys sich zu mir gesellt, Dr. Lewis an meine Tür klopft oder ein Mitverschwörer darum bittet, vorgelassen zu werden – sie wollen alle wissen, was geschieht: als wüsste ich mehr als sie, wo alles, was ich hören kann, das Prasseln des Regens ist. Als könnte ich vom sturmgepeitschten Himmel die Zukunft ablesen. Aber ich weiß nichts, da draußen kann alles Mögliche geschehen. Keine halbe Meile von hier könnte, inmitten all des Wassers, ein Blutbad stattfinden, und niemand von uns würde es erfahren – über dem Tosen des Sturms würden wir keine Stimmen hören, und durch den Regen würden keine Lichter scheinen.
Die Nächte verbringe ich in meiner Kapelle, wo ich für die Sicherheit meines Sohnes und das Gelingen unserer Unternehmung bete. Doch ich bekomme keine Antwort von Gott, sondern höre nur das stetige Trommeln der sintflutartigen Regenfälle auf dem Dach und das Heulen des Windes, der an den Dachziegeln rüttelt – bis ich glaube, Gott selbst sei von dem Hexenwind aus den Himmeln von England vertrieben worden, und ich werde ihn nie wieder hören.
Schließlich erhalte ich einen Brief von meinem Gemahl in Coventry.
Der König hat mich zu sich beordert, ich fürchte, er zweifelt an mir. Er hat auch nach meinem Sohn Lord Strange geschickt und war sehr ungehalten, als er hörte, dass mein Sohn sich nicht zu Hause aufhält, sondern mit einer Armee von zehntausend Männern auf dem Marsch ist, aber niemandem gesagt hat, wohin er marschiert. Sein Diener schwört, er habe gesagt, er rufe seine Männer für die eine wahre Sache zu den Waffen. Ich versichere dem König, dass mein Sohn losmarschiert ist, um sich mit uns zusammenzutun, dass er dem Thron treu ergeben ist. Doch er ist noch nicht hier in unserem Hauptquartier in Coventry Castle eingetroffen.
Weil der Severn so stark angeschwollen ist, sitzt Buckingham in Wales fest. Dein Sohn wird vermutlich vom Sturm im Hafen festgehalten. Die Männer der Königin können auf den durchweichten Straßen nicht hinausmarschieren, obwohl der Duke of Norfolk sie erwartet. Ich glaube, Deine Rebellion ist vorbei, der Regen und das steigende Wasser allerorten haben Dich besiegt. Sie nennen es schon das Wasser des Duke of Buckingham: Es hat ihn und seinen Ehrgeiz zusammen mit Deinen Hoffnungen in die Hölle gespült. Niemand hat je so einen Sturm erlebt, seit Königin Elizabeth einen Nebel heraufbeschworen hat, um der Armee ihres Gemahls in der Schlacht von Barnet Schutz zu bieten, und seit sie die Winde herbeigerufen hat, um ihn sicher nach Hause zu wehen. Niemand zweifelt daran, dass sie so etwas kann, die meisten von uns hoffen nur, dass sie aufhört, bevor sie uns alle davonschwemmt. Aber warum? Kann sie jetzt gegen Dich arbeiten? Und wenn ja, warum? Ist sie so hellsichtig, dass sie weiß, was ihren Söhnen widerfahren ist und wer es getan hat? Glaubt sie, Du seiest es gewesen? Lässt sie nun Deinen Sohn aus Rache in den Fluten untergehen?
Vernichte alle in Deinem Besitz befindlichen Papiere und leugne, was Du getan hast. Richard kommt nach London, und auf dem Tower Green wird man ein Schafott errichten. Wenn er nur die Hälfte von dem glaubt, was ihm zu Ohren gekommen ist, wird er Dich aufs Schafott bringen, und ich werde nichts für Dich tun können.
Stanley
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Oktober 1483
I ch habe die ganze Nacht auf den Knien gebetet, aber ich weiß nicht, ob Gott mich durch den höllischen Lärm des Regens hören kann. Mit fünfzehn stolzen, schnellen Schiffen und einer Armee von fünfzehntausend Mann segelt mein Sohn von der Bretagne los – und verliert sie in dem Sturm auf hoher See. Nur zwei Schiffe kämpfen sich an die Südküste Englands durch. Dort erfahren sie sogleich, dass Buckingham von dem steigenden Fluss besiegt und seine Rebellion vom Wasser fortgespült wurde und dass Richard trockenen Fußes nur darauf wartet, die Überlebenden hinzurichten.
Mein Sohn kehrt dem Land, welches das
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