Der Thron der roten Königin
Angst vor Dieben, würdet Ihr beide Schätze in derselben Schatulle verwahren?›»
Als er meine bestürzte Miene sieht, nickt er.
«Was meint sie damit nur?», wiederhole ich.
«Mehr wollte sie nicht sagen. Ich habe nachgefragt, ob Prinz Richard nicht im Tower gewesen sei, als die beiden Jungen getötet wurden. Sie sagte nur, ich solle Euch bitten, Eure Wachen in den Tower zu schicken, um für die Sicherheit ihrer Söhne zu sorgen. Mehr wollte sie nicht preisgeben. Danach hat sie mich fortgeschickt.»
Ich erhebe mich von meinem Schemel. Dieses verdammte Weib, diese Hexe, die ihren Schatten auf mich geworfen hat, seit ich ein Mädchen war. Und jetzt, in diesem Augenblick, in dem ich sie benutze – in dem ich ihre geliebte Familie und ihre treuen Unterstützer dazu benutze, ihr den Thron streitig zu machen und ihre Söhne zu vernichten –, könnte sie immer noch gewinnen, könnte sie etwas getan und damit meine Pläne durchkreuzt haben. Wie stellt sie das nur immer an? Wie kann es sein, dass sie, wenn sie so am Boden ist, dass ich mich sogar dazu überwinde, für sie zu beten, es immer noch schafft, ihr Glück zu wenden? Das kann nur Hexerei sein. Ihr Glück und ihr Erfolg verfolgen mich mein Leben lang. Ich weiß genau, dass sie mit dem Teufel im Bunde steht. Ich wünschte, er würde sie mit in die Hölle nehmen.
«Ihr müsst noch einmal zu ihr gehen», wende ich mich an ihn.
Er erweckt beinahe den Eindruck, als wollte er sich weigern.
«Was?», fahre ich ihn an.
«Lady Margaret, ich schwöre, ich fürchte mich davor, zu ihr zu gehen. Sie ist wie eine Hexe, eingesperrt im Spalt einer Kiefer, sie ist wie ein gefangener Geist, wie eine Wassergöttin in einem zugefrorenen See, die auf den Frühling wartet. Sie lebt in dem düsteren Kirchenasyl, an ihren Gemächern fließt unablässig der Fluss vorbei, und sie lauscht seinem Plätschern wie einem Ratgeber. Sie weiß Dinge, die sie allein mit irdischen Mitteln nicht erfahren haben kann. Sie erfüllt mich mit Angst und Schrecken. Und ihre Tochter ist genauso schlimm.»
«Ihr werdet all Euren Mut zusammennehmen müssen», sage ich barsch. «Seid tapfer, Ihr führt Gottes Werk aus. Ihr müsst zu ihr zurückgehen und ihr ausrichten, sie solle unverzagt sein. Teilt ihr mit, ich wäre mir sicher, dass die Prinzen noch am Leben sind. Erinnert sie daran, dass wir gehört haben, wie die Wachen sie von der Tür fortgeschafft haben, als wir den Tower angegriffen haben. Da haben sie noch gelebt, warum sollte Richard sie jetzt töten? Richard hat den Thron an sich gerissen, ohne sie zu töten, warum sollte er ihnen jetzt nach dem Leben trachten? Richard ist ein Mann, der seine Arbeit selbst erledigt, und er ist gerade Hunderte von Meilen weit fort. Richtet ihr aus, ich werde meine Leute im Tower verdoppeln, und ich schwöre auf meine Ehre, die Jungen zu beschützen. Erinnert sie daran, dass uns der nächste Monat den Aufstand bringt. Sobald wir König Richard geschlagen haben, befreien wir die Jungen. Und wenn sie sich beruhigt hat, im selben Augenblick, in dem sie Erleichterung verspürt, wenn Ihr also seht, dass die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrt und Ihr sie überzeugt habt – in diesem Augenblick fragt Ihr sie rasch, ob sie ihren Sohn Prinz Richard in Sicherheit gebracht hat. Ob sie ihn irgendwo versteckt hält.»
Er nickt, aber er ist kreidebleich vor Angst. «Und sind sie sicher?», fragt er. «Kann ich ihr tatsächlich beteuern, dass ihre armen Söhne sicher sind und wir sie retten werden? Dass an den Gerüchten, die selbst in Eurem Haushalt kursieren, nichts dran ist? Wisst Ihr, ob sie leben oder tot sind, Lady Margaret? Wenn ich ihrer Mutter sage, dass sie leben, spreche ich dann die Wahrheit?»
«Sie sind in Gottes Händen», antworte ich ruhig. «Wie wir alle. Auch mein Sohn. Dies sind gefährliche Zeiten, und die Prinzen sind in Gottes Händen.»
***
In dieser Nacht dringen Nachrichten von einem ersten Aufstand zu uns. Er kommt zur falschen Zeit, kommt zu früh. Die Männer aus Kent marschieren gen London und fordern den Duke of Buckingham auf, den Thron zu übernehmen. Die Grafschaft Sussex greift zu den Waffen, überzeugt, keinen Augenblick länger warten zu können, und auch die Männer aus dem benachbarten Hampshire erheben sich – wie ein Feuer, das von einer trockenen Waldung zur nächsten überspringt. Richards treuester Kommandant, Thomas Howard, der kürzlich zum Duke of Norfolk ernannt wurde, marschiert von London nach Südwesten hinunter,
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