Der Thron der roten Königin
über die Freiheit von Königin Elizabeth und dem Triumph ihrer Tochter am Hofe des Mannes, der ihr Todfeind sein sollte, erschüttert es mich jedoch bis ins Mark.
Wie kann die Königin mit dem Mann, den sie eigentlich beschuldigen müsste, für den Tod ihrer Söhne verantwortlich zu sein, ein Abkommen schmieden? Es ist mir ein Rätsel, ein wahrer Gräuel. Und wie kann dieses Mädchen am Hof ihres Onkels herumtanzen, als wäre er nicht der Mörder ihrer Brüder und der Kerkermeister ihrer Kindheit? Ich begreife das einfach nicht. Die Königin hat sich ganz der Eitelkeit ergeben, wie sie es immer getan hat – sie lebt nur für ihre Bequemlichkeit und ihr Vergnügen. Es überrascht mich nicht, dass sie sich mit einem ansehnlichen Haus und einer zweifellos guten Pension abspeisen lässt. Wenn sie die Freiheit aus den Händen ihres Mörders annimmt, kann sie nicht um ihre Söhne trauern.
Heytesbury Manor, in der Tat! Ich kenne dieses Herrenhaus, sie hat es dort sehr luxuriös. Und John Nesfield wird ihr zweifellos gestatten, sich alles kommen zu lassen, wonach ihr Herz begehrt. Männer überschlagen sich immer, um Elizabeth Woodvilles Wünschen zu entsprechen, denn sie alle machen sich gern für ein hübsches Gesicht zum Narren. Obwohl sie eine Rebellion angeführt hat, in der gute Männer ihr Leben gelassen haben und die mich alles gekostet hat, sieht es doch danach aus, als käme sie ungestraft davon.
Ihre Tochter muss noch tausendmal schlimmer sein, wenn sie unter diesen Bedingungen die Freiheit akzeptiert, an den Hof geht und schöne Kleider bestellt. Wenn sie einer Thronräuberin als Hofdame dient – einer Königin, die auf dem Thron sitzt, der ihrer Mutter gebührt! Mir fehlen die Worte, mir fehlen die Gebete, ich bin sprachlos ob der Falschheit und der Eitelkeit der Königin und der Prinzessin von York. Ich kann nur an eines denken: Wie kann ich sie dafür strafen, dass sie freigekommen sind, während ich am Boden zerstört und eingesperrt bin. Nach allem, was wir durchgemacht haben, kann es nicht richtig sein, dass die Königin von York Gefahr und Asyl abschüttelt und wieder in einem wunderschönen Haus im Herzen Englands lebt, ihre Töchter großzieht und sie gut mit ihren Freunden und Nachbarn verheiratet. Es kann nicht richtig sein, dass die Prinzessin von York die Favoritin des Hofes ist, der Liebling ihres Onkels, der Liebling aller, während ich ganz unten bin. Gott kann nicht wollen, dass diese Frauen ein friedliches und glückliches Leben führen, solange mein Sohn im Exil ist. Das kann unmöglich Gottes Wille sein. Er muss sich Gerechtigkeit wünschen und Strafe, er kann nur ihren Niedergang wollen. Er muss sich danach sehnen, das Schandmal ausgebrannt zu sehen. Er muss den Geruch des Rauchopfers riechen wollen. Und ich wäre – so wahr mir Gott helfe – sein williges Werkzeug, legte er mir nur eine Waffe in meine gehorsame Hand.
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April 1484
A ls der König sich auf eine Frühlingsreise nach Nottingham begibt, wo er in diesem Jahr sein Hauptquartier aufschlägt und sich auf die Invasion meines Sohnes vorbereitet, kommt mein Gemahl zu Besuch. Denn er weiß, dass mein Sohn in diesem oder im nächsten Jahr nach England einmarschieren wird, spätestens im Jahr darauf. Thomas Stanley reitet jeden Tag auf meinen Ländereien aus, er ist so versessen auf die Jagd, als sei es sein eigenes Wild, das er tötet – und dann fällt mir ein, dass es ja genauso ist. Alles gehört jetzt ihm. Abends isst er reichlich und lässt sich die erlesenen Weine munden, die Henry Stafford für mich und meinen Sohn eingekellert hat und die nun ihm gehören. Ich danke Gott dafür, dass mir, im Gegensatz zu anderen Frauen, nichts an weltlichen Gütern gelegen ist, sonst würde ich die Ansammlung leerer Flaschen auf der Tafel mit der allergrößten Verstimmung betrachten. Ich danke Unserer Lieben Frau, dass mein Geist fest auf den Willen Gottes und den Erfolg meines Sohns gerichtet ist.
«Kennt Richard Henrys Pläne?», frage ich ihn eines Abends, bevor er zur Gänze von den Weinen alkoholisiert ist, die mein Keller ihm gezwungenerweise gewährt.
«Natürlich wimmelt es an Henrys kleinem Hof vor Richards Spionen», antwortet Stanley. «Dazu ein Netzwerk, das Nachrichten von einem Ende des Landes zum anderen befördert. Nicht einmal ein Fischkutter könnte heute in Penzance landen, ohne dass Richard morgen davon erführe. Doch ist aus deinem Sohn ein vorsichtiger und kluger junger Mann geworden.
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