Der Thron der Welt
begehrt.»
Vallon tat dieses Gerede mit einer Geste ab. «Wissen sie, wer wir sind?»
«Gewiss. Man kann auf Island nichts geheim halten.»
Vallon begann, Gefallen an einsamen Ausflügen ins Landesinnere zu finden. Seine Streifzüge boten ihm die Möglichkeit, Zeit totzuschlagen, und doch wurde die Zeit langsam knapp. Der August war gekommen, und damit stand der Wechsel der Jahreszeiten vor der Tür. Wenn die
Shearwater
bis Ende des Monats nicht zurück wäre, würde er eine schwere Entscheidung treffen müssen: auf das Schiff warten und dabei riskieren, die günstigen Winde zu verpassen, die sie nach Süden tragen würden, oder die
Shearwater
aufgeben und eine andere Möglichkeit zur Überfahrt nach Norwegen suchen.
Einer seiner Ausflüge führte ihn am Ufer eines großen Sees westlich an dem Ort vorbei, an dem die Isländer ihre jährliche Regierungsversammlung abhielten. Die Erntezeit war gekommen, und ganze Familien arbeiteten auf den Hauswiesen, mähten das Gras und hängten es zum Trocknen auf lange Gerüste. Aus einer Laune heraus verließ Vallon den breiten Weg und ritt auf einem Pfad weiter, der nordwärts zu einem Sattel zwischen zwei eisgekrönten Bergen hin anstieg. Von dort aus kam er in eine Wüste aus schwarzem Sand, in der rauchende Schlackekegel aufragten. Den ganzen Tag ritt er weiter, halb versunken in melancholische Träumereien, ohne ein Ziel vor Augen. An die Wüste schloss sich ein Moorgebiet an. In der Abenddämmerung kam er an einen Fluss und beschloss, dort sein Lager aufzuschlagen. Nach einem Mahl aus Fisch und Brot saß er in Decken gehüllt am Fluss und dachte an seine tote Frau und die Kinder, die er nie mehr sehen würde. Es wurde dunkel – die erste wirklich dunkle Nacht, seit er in Island angekommen war. Er lag unter einem Mond wie Pergament und hörte dem Plätschern des Flusses zu, und um Mitternacht war er eingeschlafen.
Als er wieder erwachte, versteckte sich die Sonne hinter Wolken von der Farbe feuchten Leders. Sein Pferd, dessen Fesseln er zusammengebunden hatte, graste in der Nähe. Er sattelte es und durchquerte den Fluss. Auf der anderen Seite ließ er das Tier seinen eigenen Weg suchen, weil er wusste, dass es ihn früher oder später zu einem Bauernhof bringen würde. Doch Meile für Meile blieb das Land menschenleer. Vallon begann schon zu glauben, dass er die Besiedlungsgrenze hinter sich gelassen hatte, als er zu einer weiteren Wasserscheide hinaufritt und eine weite, grüne Tiefebene vor sich hatte. Die Wolken rissen auf, und gebündelte Sonnenstrahlen leuchteten ein Gehöft an, das Meilen entfernt auf der anderen Seite der Ebene lag. Er ritt darauf zu und kam immer näher an einen dampfenden Krater mit Abhängen, die gerippt waren wie Herzmuscheln.
Am Fuße des Kraterhangs zügelte er sein Pferd, kletterte in einer der erkalteten Lavarinnen hinauf und spähte über den Rand in den Krater.
Sofort duckte er sich wieder und krallte sich mit den Fingern in den Boden. Wie eingebrannt in seine Netzhaut war ein Bild von Caitlin, die auf der anderen Seite nackt in den Kratersee watete. Er konnte das Bild nicht abschütteln. Ihre schweren runden Brüste, der schöne Schwung der Hüften, das Dreieck in der Mitte zwischen ihnen. Tränen der Erheiterung traten ihm in die Augen, als er ihre üppigen Reize mit der gefühlskalten Person in Verbindung brachte, die ihn mit solcher Geringschätzung gemustert hatte.
Vorsichtig hob er den Kopf. Der See war ein überwältigender Anblick, das Blau des Wassers changierte zwischen Ultramarin in der Mitte bis zu dem zarten Blau von Enteneiern am Rand. Caitlin stand nun bis zur Brust im Wasser, hatte die Arme ausgestreckt, und ihr langes Haar schwamm um sie herum wie Algen. Auf einem ihrer Arme trug sie eine blaue Tätowierung. Zwei junge Mägde, eine blond, eine dunkelhaarig, standen hinter ihr und warteten bescheiden auf Anweisungen. Als er diese keusche Szene betrachtete, stieg in Vallon ein Gefühl auf wie in einem unschuldigen Mann, doch dann überkam ihn wieder die Erinnerung, und das Gefühl schmeckte auf einmal nach Asche. Er ließ sich den Hang hinuntergleiten, legte sich auf den Rücken und starrte in den Himmel.
Dann setzte er sich stirnrunzelnd auf. Der Boden hatte ein schwaches Vibrieren zu ihm übertragen. Pferde. Er zog ein Gesicht, als ihm klar wurde, dass er sich in einer reichlich missverständlichen Situation befand. Er konnte sich nirgends verstecken. Die Reiter waren auf der anderen Seite des Kraters, und er
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