Der Name Des Windes
Prolog
Eine dreistimmige Stille
E s war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum Wegstein lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille.
Der vernehmlichste Teil dieser Stille war dumpf und lastend und verdankte sich dem, was fehlte. Hätte ein Wind geweht, so hätte er in den Bäumen geseufzt, hätte das Wirtshausschild quietschend zum Schaukeln gebracht und die Stille wie trudelndes Herbstlaub die Straße hinabgeweht. Wäre das Wirtshaus gut besucht gewesen, hätten sich dort auch nur eine Handvoll Männer aufgehalten, so hätten sie die Stille mit Geplauder und Gelächter erfüllt, mit dem Radau und Bohei, den man in dunklen Abendstunden in einer Schenke erwartet. Wäre Musik erklungen … aber nein, natürlich erklang keine Musik. All das fehlte, und so blieb es still.
Im Schankraum saßen zwei Männer an einem Tresenende beieinander. Sie tranken mit stiller Entschlossenheit und mieden ernsthafte Gespräche über beunruhigende Neuigkeiten. Und indem sie das taten, fügten sie der großen, dumpfen Stille eine kleine, mürrische hinzu. Daraus entstand ein Gemisch, mit einer gegenläufigen Stimme.
Die dritte Stille war weit weniger vernehmlich. Hätte man eine Stunde lang gelauscht, so hätte man vielleicht begonnen, sie im Dielenboden des Raumes oder in den Holzfässern hinterm Tresen zu erahnen. Sie lag in der steinernen Masse des schwarzen Kamins, der noch die Wärme eines erloschenen Feuers barg. Sie lag im langsamen Hin und Her eines weißen Leinentuchs, das die Maserung des Tresens entlangfuhr. Und sie lag in den Händen des Mannes, der dort stand und eine Mahagonifläche polierte, die bereits im Lampenschein glänzte.
Der Mann hatte leuchtend, ja flammend rotes Haar. Seine Augen blickten dunkel und abwesend, und er bewegte sich mit einer Sicherheit, die sich aus vielfältigem Wissen speiste.
Das Wirtshaus gehörte ihm, wie ihm auch die dritte Stille gehörte. Und das war nur recht und billig so, denn sie war die größte der dreifachen Stille und schloss die anderen ein. Sie war so tief und so weit wie der Spätherbst. Sie wog so schwer wie ein großer, vom Fluss glatt geschliffener Stein. Es war der geduldige, blumensichelnde Laut eines Mannes, der darauf wartet zu sterben.
Kapitel 1
Ein Ort für Dämonen
E s war Felling-Abend, und die übliche Runde hatte sich im Wirtshaus zum Wegstein eingefunden. Fünf Mann waren keine große Runde, aber mehr kamen dieser Tage selten ins Wirtshaus, da die Zeiten nun einmal waren, wie sie waren.
Der alte Cob ging ganz in seiner Rolle des Geschichtenerzählers und Ratgebers in allen Lebenslagen auf. Die übrigen Männer am Tresen tranken und hörten zu. Im Hinterzimmer stand der junge Gastwirt hinter der Tür und lauschte lächelnd den Einzelheiten einer altbekannten Geschichte.
»Als er erwachte, fand sich Taborlin der Große in einem hohen Turm eingeschlossen. Man hatte ihm sein Schwert abgenommen und seiner Werkzeuge beraubt: Der Schlüssel, die Münze und die Kerze waren fort. Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste, denn …«, sagte Cob und machte eine Kunstpause, »… denn die Lampen an der Wand brannten blau!«
Graham, Jake und Shep nickten. Die drei Freunde waren gemeinsam aufgewachsen, hatten all die Jahre Cobs Geschichten gelauscht und seine Ratschläge missachtet.
Cob sah zu dem neuen, aufmerksameren Mitglied seiner kleinen Zuhörerschar hinüber, dem Schmiedelehrling. »Weißt du, was das bedeutet, Junge?« Alle nannten den Schmiedelehrling »Junge«, obwohl er eine Handbreit größer war als jedermann sonst. Wie in kleinen Ortschaften üblich, würde er wahrscheinlich so lange der »Junge« bleiben, bis ihm ein Vollbart wuchs oder er deswegen jemandem die Nase blutig schlug.
Der Junge nickte. »Die Chandrian.«
»Stimmt genau«, sagte Cob anerkennend. »Die Chandrian. Es ist allgemein bekannt, dass blaues Feuer eines ihrer Zeichen ist. Nun war er also –«
»Aber wie haben sie ihn gefunden?«, unterbrach ihn der Junge. »Und warum haben sie ihn nicht getötet, als sie die Gelegenheit dazu hatten?«
»Sei still, das erfährst du noch früh genug«, sagte Jake. »Lass ihn weitererzählen.«
»Ruhig Blut, Jake«, sagte Graham. »Der Junge ist nur neugierig. Trink dein Bier.«
»Mein Bier ist alle«, murrte Jake. »Ich brauch ein neues, aber der Wirt ist ja immer noch im Hinterzimmer am Rattenabziehen.« Er pochte mit dem leeren Krug auf den Tresen und rief: »He, wir verdursten hier!«
Der Wirt erschien mit fünf Schalen
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