Der Thron der Welt
Begegnung bei dem See so geschildert haben, dass es aussah, als sei er – Vallon – in seine Schwester vernarrt. Drogo hielt ihn für einen Rivalen im Kampf um ihre Zuneigung. Die Dummheit dieses Normannen verärgerte Vallon. Er warf einen funkelnden Blick über die Schulter.
Gerade kam ihm Garrick mit einer Schale und etwas Brot nach. «Ihr habt immer noch nichts gegessen, Herr.»
Vallon aß schweigend und schaute dabei nachdenklich über den Fluss.
«Was tun wir jetzt?»
«Wir verlegen das Lager ans andere Ufer. Es wird ein paar Tage dauern, bis das Schiff wieder seetüchtig ist. Wayland kann solange Futter für die Falken besorgen. Und dann …» Vallon unterbrach sich. Beinahe hätte er gesagt, «… fahren wir nach Hause.» Er lächelte Garrick an. «Dann setzen wir unsere Reise fort. Wirst du mit uns nach Konstantinopel kommen?»
«Was sollte ich denn dort, Herr?»
«Was immer du tun willst. Es ist die größte Stadt auf der Welt.»
«Städte gefallen mir nicht. Ich war einmal in Lincoln. Von all den Leuten, die sich dort drängten, ist mir ganz schwindelig geworden.» Er warf Vallon einen scheuen Blick zu. «Ich träume davon, an dem Ort, wo ich aufgewachsen bin, zehn Morgen Land zu kaufen. In Frieden zu leben und in der Erde beerdigt zu werden, von der ich stamme, an der Stelle, an der auch meine Eltern liegen und an der ich meine Kinder begraben habe. Ich weiß, es ist nur ein Traum.» Er lachte. «Dieser Daegmund wäre vermutlich nicht sehr erfreut, wenn ich zurückkäme. Er kann einem ganz schön das Leben vermiesen, das kann ich Euch sagen.»
Vallon packte ihn am Arm. «Du sollst deine zehn Morgen haben. Und wenn ich nach dieser unendlichen Reise das Gleiche erreicht habe, werde ich mich glücklich schätzen.»
Garrick sah ihn an, schaute weg, und seine Miene verfinsterte sich. «Ich werde den Gedanken an diese Frauen und was die Wikinger ihnen angetan haben nicht los. Es sind Mutter und Tochter – die Tochter ist beinahe noch ein Kind. Können wir sie nicht retten, Hauptmann? Ich würde auch kämpfen, wenn Ihr meint, das es etwas nützt.»
Vallon schüttelte den Kopf. «Ich kann von meinen Leuten nicht noch mehr Opfer verlangen. Bald kommt der Winter, und wir haben noch eine weite Reise vor uns. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.»
Er war aufgestanden. Garrick blieb mit einem Ausdruck sanfter Melancholie sitzen. Vallon berührte ihn an der Schulter. «Es tut mir leid. Wir können nichts tun.»
XXXII
W ayland ging mit Syth und dem Hund, der ihnen wie ein Schatten folgte, durch den Wald. Zu ihrer Rechten hatte die Mondsichel einen silbernen Pfad auf den Fluss gelegt. Von dem Wikingerlager auf der anderen Uferseite hallten unaufhörlich Beilhiebe und Hammerschläge herüber. Tag und Nacht arbeiteten sie an der Reparatur ihres Langschiffs. Wayland hatte sie am Morgen nach dem Kampf ausgespäht, und er hätte geschworen, dass das Schiff nicht zu retten war. Doch als er tags darauf wiederkam, stellte er fest, dass sie schon mit dem Austausch von Planken begonnen hatten, und am Vortag hatten sie die Spanten an Steuerbord ersetzt.
Er kroch in ein Weidendickicht und spähte zwischen den herabhängenden Zweigen hindurch. Er hatte auf einem Ast etwa zwanzig Fuß über dem Boden zwei gedrungene Umrisse entdeckt. Er drehte sich zu Syth um, legte den Zeigefinger auf die Lippen und schlich so leise wie möglich im Halbkreis um den Ast herum, bis sich die beiden schlafenden Birkhühner vor dem Mond abzeichneten. Dann ließ er sich auf ein Knie sinken und hob die Miniaturarmbrust, die Raul für ihn gebaut hatte. Die Sehne war gespannt, ein Pfeil ohne Spitze lag in der Bolzenrinne. Er zielte niedrig, um den Versprung des Bolzens bei einem Schuss aus solcher Nähe auszugleichen. Dann ließ er ihn abschnellen. Ein dumpfer Schlag, und eines der Birkhühner fiel in Todeszuckungen flatternd auf den Waldboden. Sein Gefährte gluckste eine Alarmruf und rückte ein Stück weiter auf dem Ast vor. Wayland lud erneut und zielte.
Fehlschuss. Der Bolzen raste klappernd durchs Gezweig. Das Birkhuhn saß nun beinahe am Ende des Astes. Wayland legte den nächsten Bolzen ein. Der Ast bog sich unter dem Gewicht des Vogels. Wayland versuchte sich auf die Schwingung einzustellen. Es funktionierte nicht. Er schloss kurz die Augen, atmete langsam ein, hob die Armbrust und schoss, sobald er das Birkhuhn wieder vor sich sah.
Pfschsch.
Wayland blinzelte. Der Ast war leer. Der Hund rannte los, um die Beute zu holen.
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