Der Thron der Welt
Wayland massierte sich den Nacken. «Das reicht für heute Abend.»
«Wie viele haben wir?»
Wayland zählte die Vögel, die an seinem Gürtel hingen. «Insgesamt sieben.»
Syth klatschte in die Hände. «Sechs für die Falken. Eins für uns. Ich brate es gleich.»
Während sie das Birkhuhn briet, starrte Wayland blicklos in die Flammen. Er war von seinen endlosen Pflichten erschöpft – die Falken pflegen, Futter für sie suchen, die Wikinger ausspähen …
Schweigend aß er seinen Anteil an dem Birkhuhn. Von der anderen Seite des Feuers sah ihn Syth mit fragendem Blick an. Er wusste, dass sie sich wegen seines brütenden Schweigens Sorgen machte und auch, weil er sie nicht in die Arme genommen hatte, seit sie von Island abgefahren waren.
«Das ist noch halb roh», sagte er und warf dem Hund den Rest des Vogels hin.
«Ich weiß, dass du müde bist, also habe ich so schnell wie möglich gemacht.»
Wayland legte sich hin und zog eine Decke über sich. Syth streckte sich neben ihm aus, jedoch ohne ihn zu berühren. Er spürte ihre Traurigkeit. Wayland musste daran denken, wie sich seine Eltern manchmal gestritten hatten und wie erleichtert er jedes Mal gewesen war, wenn sie sich wieder versöhnt hatten. Er rollte sich auf die Seite und sah Syth an. «Es liegt nicht an dir, dass ich so unausstehlich bin. Es ist der Gedanke an das, was noch vor uns liegt.»
«Das ist es nicht allein», sagte sie. «Du machst dir Sorgen, dass du mich jetzt für immer am Hals hast.» Sie schmiegte sich dicht an ihn. «Aber vielleicht bekomme ich dich ja als Erste satt.»
Mit einem Ruck wachte Wayland auf. Syth und der Hund rannten ungestüm durch das Weidendickicht auf ihn zu.
«Der Satan ist am Fluss!»
Wayland packte seinen Bogen. «Der Satan?»
«Schwarz mit Hörnern und gespaltenen Hufen und so groß wie ein Haus.»
Ihre Augen waren weit aufgerissen, und der Hund schien kurz vor einem Anfall zu stehen, mit gebleckten Hauern und zitternden Flanken. Doch das war Aufregung, keine Furcht. Wayland spähte zum Fluss hinüber. In der Dämmerung begannen graue Bäume Gestalt anzunehmen. Er hörte Wasser um eine Untiefe strudeln.
«Bleib hier.»
Er legte einen Pfeil ein und tastete sich in Richtung der Sandbank. Mit einem Blick über die Schulter stellte er fest, dass ihm Syth hinterherschlich und sich ängstlich auf die Finger biss. Er winkte sie fort.
Doch sie schüttelte nur entschlossen den Kopf.
Wayland erreichte den Rand des Dickichts. Zwanzig Schritt von der Sandbank entfernt hob sich ein grässlich verunstaltetes Wesen vor dem heller werdenden Himmel ab. Noch niemals hatte Wayland solch ein Untier gesehen. Gleich mehrere Geschöpfe schienen in seiner Gestalt Form annehmen zu wollen. Sein Kopf mit den mächtigen Wammen hatte eine rumpfförmige Schnauze, Eselsohren und wurde von einem sechs Fuß breiten Geweih überragt. Die höckrigen Schultern eines Bullen fielen über eine mickrige Kruppe zu einem lächerlichen Schwanz ab. All das wurde von knotigen Beinen getragen, die für dieses Gewicht viel zu dürr wirkten. Langsam kauend sah das Tier auf. Wasser triefte aus seiner Schnauze. Es schnaubte einmal leise und senkte den Kopf wieder. Wayland kroch zu Syth zurück.
«Das ist nicht der Teufel», flüsterte er.
«Was denn sonst?»
«Eine Art Hirsch.»
«Der Satan kann jede Gestalt annehmen. Als ich einmal im Moor war, habe ich eine Fledermaus gesehen, die …»
Wayland legte ihr die Hand auf den Mund und riss warnend die Augen auf.
Sie nickte, und er zog die Hand weg. Er hob seinen Bogen. Syth packte ihn am Arm.
«Du wirst ihn nicht töten.»
«Wir haben fast kein Pferdefleisch mehr. So ein großes Tier ernährt uns eine Woche lang. Bleib hier und sei leise.»
Das Tier hatte sich nicht bewegt. Kein Lüftchen regte sich, das ihren Geruch zu ihm hätte tragen können, und die plätschernde Strömung hatte wohl ihre Stimmen übertönt. Das Tier stand Wayland beinahe genau gegenüber. Er wartete darauf, dass es sich drehte, damit er in die Flanke schießen konnte. Er sah das feuchte Schimmern der Augen. Dann bewegte sich das Tier mit einem seufzenden Geräusch. Ein melancholischer Außenseiter, der unter seiner Einsamkeit litt. Wayland zielte hinter den Widerrist. Nur ein Schuss ins Herz konnte ein Tier dieser Größe töten.
Das hohle Geräusch, mit dem der Pfeil traf, zeigte Wayland, dass er sein Ziel getroffen hatte. Das Tier galoppierte auf eine Landzunge zu, die mit Weiden und Birken überwuchert war. Es
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