Der Thron der Welt
den Falken niemals vorm Dunkelwerden gefunden. Und auf diesem Felsen als Schlafplatz wäre der Vogel für Wölfe und Schakale zur leichten Beute geworden. Selbst wenn er bis zum Morgen überlebt hätte, wäre ein Gutteil des Übungserfolges dahin gewesen.
Niedergeschlagen kehrte er zurück, um sich den Tadel des Falkenmeisters abzuholen. Doch Ibrahim sagte nur, er solle dem Falken die Rationen kürzen, weil ein Wildvogel den Hunger vergisst, wenn er den Wind wieder unter den Schwingen spürt. «Gib dem Falken morgen nichts zu fressen und lass ihn auch nicht fliegen», ordnete er an.
«Ich kann mir keinen Tag Pause leisten», sagte Wayland. «Die Reiter haben ihn irritiert. Morgen gehe ich allein mit ihm hinaus.»
Am nächsten Morgen machte er sich auf die Suche nach Syth. Sie und Caitlin waren in einem Haremszelt untergebracht, das durch einen überdachten Gang mit dem Pavillon des Emirs verbunden war. Eine stämmige Frau, die von Kopf bis Fuß verhüllt war, kam zum Eingang und musterte Wayland durch den Sehschlitz in ihrem Gesichtsschleier. Er fragte, ob er Syth sehen könne. Sie ging weg, und kurz darauf erschien eine andere Frau, die in ein fließendes Seidengewand gehüllt war, das sich eng an Brüste und Hüften schmiegte und so ihre schlanke und wohlgestaltete Figur betonte. Ein Tuch bedeckte ihr Haar, und sie hielt ein Ende dieses Tuchs vor ihre untere Gesichtshälfte, sodass Wayland nur ihre schwarz umrandeten Augen sehen konnte.
Ihm war in der Gegenwart dieser exotischen Maid höchst unbehaglich zumute. «Ich möchte zu Syth», murmelte er.
«Erzähl mir nicht, dass du so schnell vergessen hast, wie ich aussehe.»
«Syth! Ich habe dich nicht erkannt. Was hast du da für schwarzes Zeug um die Augen?»
«Das heißt Kajal. Gefällt es dir nicht? Wo warst du die ganze Zeit?»
«Ich muss den Falken für den Wettkampf vorbereiten. Deshalb bin ich hier. Ich brauche deine Hilfe.»
«Ist das der einzige Grund, aus dem du gekommen bist?»
«Natürlich nicht. Du hast mir gefehlt.»
«Und wie du mir erst gefehlt hast! Warum bist du nicht früher gekommen?»
«Es tut mir leid. Die ersten beiden Nächte habe ich praktisch gar nicht geschlafen, und tagsüber war ich mit dem Falken beschäftigt.»
Sie warf einen Blick über die Schulter. «Ich muss um Erlaubnis bitten.»
Während Syth verschwunden war, bewachte die stämmige, verhüllte Matrone den Eingang und musterte ihn mit finsteren Blicken. Eine Bewegung in ihrem Rücken brachte sie dazu, sich umzudrehen. Syth flog förmlich auf Wayland zu, Gesicht und Haare bedeckt und in enge Beinhosen und einen wattierten Wickelmantel gekleidet. Die Frau schrie auf und versuchte, nach Syth zu greifen, doch die duckte sich weg. Wayland wollte sie an der Hand nehmen, aber Syth schlug seinen Arm zur Seite.
«Keine Berührungen im Lager.»
Sie ritten mit dem Falken zu der öden Region der Ebene, wo er am Vortag geflogen war. Immer wieder warf Wayland Seitenblicke auf Syth. Drei Tage Abwesenheit hatten eine Fremde aus ihr gemacht. Sie schien erwachsener geworden. Erwachsener als er selbst.
«Kann ich dich schon berühren?»
Sie lachte und zog den Schal von ihrem Gesicht. Sie hatte den Kajal abgewaschen, und ihre Wangen waren so rosig, wie er sie kannte. Sie ritt neben ihn und erlaubte Wayland, sie zu küssen. Sie roch nach Moschus und Rosen.
Mit dem Finger streichelte sie ihm über die Wange. «Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich wusste nicht, ob du in Sicherheit bist, bevor Vallon es mir versichert hat, als er zu Besuch bei Caitlin war.»
«Wie geht es ihr?»
Syth lachte. «Sie lässt sich nur allzu gern verwöhnen. Du solltest sie in ihren neuen Gewändern und mit all dem Schmuck sehen. Sie ist betörend.» Syth bemerkte, dass Wayland den Mund verzog. «Grins nicht so hässlich. Ich mag Caitlin. Sie kennt sich mit Männern gut aus. Aber keine Sorge, dich schätzt sie sehr.»
Wayland war nicht sicher, ob es ihm gefiel, dass Caitlin mit Syth über ihn sprach. «Und Vallon?»
Syths Lächeln wurde geheimnisvoll. «Wart’s ab.»
Die Flugübungen dieses Tages waren ein Misserfolg. Wayland hatte seine Ziele höher gesteckt, als den Falken nur auf den Lockvogel fliegen zu lassen. Er wollte, dass der Falke lange in der Luft blieb. Er würde hoch und schnell aufsteigen müssen, wenn er einen Kranich in die Fänge bekommen wollte. Ibrahim hatte ihm erklärt, wie die Jagd durchgeführt wurde. Der Falke würde auf einen Kranich abgeworfen werden, der sich in
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