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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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fliegen.
    «Genug», sagte Ibrahim. Er zählte an seinen Fingern ab, wie das Training weitergehen würde. Am nächsten Tag würde der Falke zehn Sprünge machen, und danach fünfzehn. Wenn er die Übung problemlos fünfundzwanzigmal bewältigte, war er kräftig genug, um im Freien zu fliegen.
    Wayland aber hatte seinen eigenen Plan gemacht, und den Falken auf seine Faust zu zwingen, gehörte nicht dazu. Es war demütigend. Er hatte dem Falken seine Tagesration immer am Stück gegeben. Er war schließlich ein Geschöpf der Wildnis und daran gewöhnt, seinen Hunger uneingeschränkt zu stillen. Futter war das Einzige, was das Tier an ihn band. Wenn dieses Band zerschnitten wurde, würde der Falke beginnen, ihn zu hassen.
    «Deine Methode braucht zu viel Zeit. Ich lasse ihn morgen draußen fliegen.»
    «Nein!»
    «Doch. Nur, wenn er fliegt, kann er seine Muskeln richtig kräftigen. Außerdem muss ich ihn daran gewöhnen, dass er von einem Reiter getragen wird. Und er muss sich an Menschenmengen gewöhnen. Er muss das Terrain kennenlernen.»
    Ibrahim fragte, ob Wayland den Falken schon einmal frei hatte fliegen lassen.
    «Ja, und auf seinem ersten Flug hat er eine Trappe erlegt.»
    Er ließ sich nicht umstimmen, und schließlich gestattete ihm der Falkenmeister, dass der Falke frei fliegen sollte, falls er zuvor Gehorsam bewies, indem er sofort zum Federspiel flog, während er an die Langfessel gebunden war.
    Sie warteten bis zum späten Nachmittag. Als sie aus der Stallung kamen, war Wayland erstaunt, von einem Trupp berittener Seldschuken erwartet zu werden, der sie begleiten sollte. Um den Falken einzufangen, falls er wegflog, sagte Ibrahim.
    Sie ritten aus dem Lager in westlicher Richtung, bis sie ein kahles Stück Ebene erreichten. Die Eskorte hielt sich abseits zu Pferde, während Wayland abstieg und dem Falken Leine und Drahle abnahm. Der Falkenmeister zog eine Schnur durch die Schlitze in den Geschühriemchen und trug den Vogel etwa dreißig Schritt weit weg. Wayland zog eine lederne Köderleine heraus, die mit Taubenfleisch bestückt war. Ibrahim nahm dem Falken die Haube ab. Der Vogel nickte kurz, flog auf und spannte ein halbes Dutzend Mal die Flügel auf, bevor er zu dem Köder schwebte. Wayland kniete neben ihm, während er fraß, nahm ihn hoch, als er den letzten Bissen schluckte, und setzte ihm die Haube wieder auf. Er löste die Schnur und reichte sie Ibrahim.
    «Und jetzt lassen wir ihn fliegen.»
    Der Falkenmeister zögerte. Er hatte bemerkt, dass der Falke versucht hatte, mit dem Ködervogel abzuheben. Ihn frei fliegen zu lassen, fand er zu riskant. Er flatterte mit den Fingern Richtung Horizont. Dann zog er eine trübsinnige Miene, deutete auf das Feldlager und fuhr sich mit einem Finger über die Kehle.
    «Du meinst, der Emir bringt mich um, wenn ich den Falken verliere.»
    Die Pantomime des Falkenmeisters war unmissverständlich.
    Wayland blickte über die kahle Ebene, das spärliche, vertrocknete Gras. Er traf einen Entschluss und streckte die Faust vor. «Nimm ihn, bevor es zu dunkel zum Fliegen ist.»
    Dieses Mal ging der Falkenmeister hundert Schritt weit weg, bevor er dem Falken die Haube abnahm. Wayland erkannte, dass sich der Vogel anders verhielt als zuvor. Nachdem das Tier festgestellt hatte, wo es war, begann es sich umzusehen. Der Himmel war leer, die Hochebene verlassen, und doch hatte der Falke etwas erblickt, was nur er sehen konnte, und er hob ab und flog mit klatschenden Flügeln davon.
    Ein Ruf des Falkenmeisters, und die Seldschuken galoppierten dem Vogel nach.
    Es war beinahe dunkel, als Wayland zu ihnen aufholte. Ein Reiterkrieger trabte aus der Dämmerung und deutete hinter sich auf eine Erhebung. Wayland gab ihm die Zügel seines Pferdes und ging zu Fuß weiter. Dabei sprach er vor sich hin, um sein Auftauchen anzukündigen, damit der Falke nicht erschrak. Der Vogel hatte sich auf einem nur hüfthohen Felsen niedergelassen und starrte nach Norden. Als er sich zu Wayland umdrehte, war es, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen.
    Fuß um Fuß schob sich Wayland näher an den Falken heran. Der Vogel schien in einem Traum versunken und nahm erst Notiz von ihm, als Wayland ihm einen Brocken Fleisch vor die Füße legte. Der Falke zog die Schultern hoch, und Wayland umschloss die Geschühriemchen im letzten Moment mit der Hand, bevor der Vogel abhob. Seine Finger zitterten, als er die Leine befestigte. Er wusste, was für ein Glück er gehabt hatte. Ohne die Seldschuken hätte er

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