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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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Herausforderung nicht gewachsen war.
    Wayland musste keine Sekunde nachdenken. «Sagt ihm, er soll sich mit dem neuen Termin einverstanden erklären.»
    Jeder weitere Tag mit Drachenübungen stärkte die Kräfte des Falken, und schließlich stieg er bis auf tausend Fuß Höhe auf. Viele Seldschuken kamen mit einem Picknick hinaus auf die Hochebene, um diese Meisterleistungen zu bewundern. Als es noch drei Tage bis zu dem Wettkampf waren und Wayland gegen Abend nach Hause zurückkehrte – er hatte begonnen, das Zeltlager als «Zuhause» zu bezeichnen – begegnete er dem Falkenmeister. Ibrahim führte ihn in ein Anbauzelt, das als Vorratsraum benutzt wurde. Dort stand ein großer Weidenkäfig, und in dem Käfig befand sich ein Kranich mit gebundenen Flügeln. Der Falkenmeister berichtete Wayland, dass er jeden Tag, seit der Wettkampf angesetzt worden war, Jäger ausgeschickt hatte, um einen Kranich zu fangen. Es waren große Anstrengungen nötig gewesen, denn Kraniche waren sehr aufmerksam und ließen niemanden an sich heran. Tagsüber streiften sie auf Futtersuche über die Ebene, und bei Nacht hatten sie ihren Schlafplatz in den Marschen um den Salzsee. Dieser Vogel war in einem Netz gefangen worden, das um ein abgeerntetes Hirsefeld aufgespannt worden war. Am nächsten Tag sollte Wayland den Falken unter Bedingungen auf den Kranich fliegen lassen, die den Erfolg des Falken garantierten.
    Wayland musterte die panisch aufgerissenen Augen des gefangenen Vogels. «Lass ihn frei», sagte er. «Der Falke braucht keine leichte Beute.»
    Ibrahim war entsetzt. Den Kranich freilassen? Lächerlich. Ja, der Falke war ein Flugkünstler. Doch was hieß das schon? Einen Köder zu packen, der hoch in den Lüften an einen Drachen gebunden war, konnte man nicht mit einem Zweikampf vergleichen, bei dem sich der Falke mit einem ebenbürtigen Flieger messen musste, der aufsteigen und ausweichen und zurückschlagen konnte. Der Falke hatte noch nie zuvor einen Kranich gejagt, hatte noch nicht einmal einen gesehen. Was, wenn er bei seinem Anblick einfach die Flucht ergriff? Die meisten Falken reagierten so. Höchstens einer von zehn würde sich auf einen so gefährlichen Gegner einlassen, selbst wenn er einen weiteren Falken zur Unterstützung hatte.
    Ibrahim wollte sich nicht umstimmen lassen. Er würde in dieser Frage sogar den Emir einschalten, falls es sich nicht umgehen ließ.
    Wayland gab nach. «Unter einer Bedingung», sagte er. «Keine Zuschauer.»
     
    Nur der Falkenmeister und seine Gesellen ritten am folgenden Nachmittag mit Wayland hinaus. Sie zügelten ihre Pferde erst, als die Ebene in sämtlichen Himmelsrichtungen bis zum Horizont menschenleer vor ihnen lag. Die Unterfalkner stellten den Kranich auf den Boden und bereiteten sich darauf vor, ihm die Zwangsjacke abzunehmen. Am Morgen hatten sie einige seiner Schwungfedern zusammengenäht, um seinen Flug zu verlangsamen. Wenn Wayland nicht eingeschritten wäre, hätten sie ihm auch noch die Augen zugenäht. Dann wäre der Kranich geradewegs Richtung Sonne aufgestiegen.
    «Ich lasse den Falken nicht auf einen blinden Vogel fliegen», erklärte Wayland Ibrahim. «Du hast mir selbst gesagt, wie schwer es war, einen Kranich zu fangen. Also versuchen wir, mit diesem Test die Wettkampfbedingungen so gut wie möglich nachzustellen.»
    Ibrahim und er warteten ungefähr einen Pfeilschuss entfernt in Windrichtung. Es war ein bewölkter Tag, und von Norden wehte eine leichte Brise. Gute Flugbedingungen. Der Falke war ungeduldig. Vielleicht zu ungeduldig. Er zerrte an seinen Fußfesseln, konnte den Flug nicht erwarten.
    Die Gesellen nahmen dem Kranich die Fesseln ab. Einer von ihnen hielt ihm den Schnabel zu. Dann hob er die Hand, um zu signalisieren, dass sie bereit waren. Wayland nickte dem Falkenmeister zu. Die Gesellen traten von dem Kranich zurück, und er erhob sich nach ein paar Schritten in die Luft. Ibrahim trieb ihn mit Rufen und wedelnden Armen zum Flug gegen den Wind. Der Kranich fand seinen Rhythmus und begann zu steigen. Ibrahim legte Wayland die Hand auf den Arm und verstärkte dann seinen Griff.
    «Jetzt!»
    «Noch nicht.»
    Wayland wartete, bis der Kranich auf etwa fünfzig Fuß Höhe war, bevor er versuchte, dem Falken die Haube abzunehmen. Der Vogel war so ungestüm, dass er sich in Waylands Hand krallte und mit dem Kopf ruckte. Es gelang Wayland nicht, die Halterung der Haube zu lösen. Bis er es endlich geschafft hatte, war der Kranich noch weitere hundert Fuß

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