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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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können.
    »Gut«, sagte sie laut. »Ich komme hier heraus. Ich werde nicht hier unten wie eine Ratte verenden.«
    Ihre Stimme hörte sich an, als wäre sie geknebelt, das Wasser dämpfte ihren Klang; aber es tat ihr gut zu sprechen.
    »Steh auf«, befahl sie sich selbst. »Mach weiter. Wenn du Licht siehst, dann kannst du auch hochklettern. Keine Müdigkeit vorschützen. Wenn du zu dick bist, um da durchzukommen, musst du hierbleiben und schreien. Aber jetzt los.«
    Vorsichtig tastend, um sich nicht wieder den Kopf zu stoßen, richtete Sally sich auf dem rutschigen Untergrund auf und schaute nach oben. War es möglich? Sie spürte frische Luft. Halb berauscht, begann sie nach oben zu klettern.
     
    Parrish saß nicht in der Badewanne. Es war überhaupt niemand im oberen Stockwerk, wie Jim binnen einer Minute feststellte, während die anderen noch durch das Fenster einstiegen. Die Männer waren gut, wie er fand, ruhig und geübt … Nun, sie verstanden eben ihr Handwerk.
    »Parrish hat nicht einmal ein Kinderzimmer einrichten lassen«, teilte er ihnen im Flüsterton mit. »Harriets Bett ist weg, ihre Spielsachen sind nicht da … Ich glaube nicht, dass er sie hierherbringt. Sarah-Jane, bleib auf jeden Fall hier oben. Und achte auf meinen Rucksack. Lass ihn nicht fallen – da ist ein Schrumpfkopf für Ellie drin.«
    Sie nahm ihn zögerlich entgegen, während Jim sich mit Mendel beriet.
    Sarah-Jane hatte Recht, was die Möbel betraf: In den oberen Räumen standen ausschließlich neue Sachen. Man würde also alles hinauswerfen müssen. Jim schlug vor, mit einem breiten, hässlichen Kleiderschrank zu beginnen, der im großen Schlafzimmer stand. Das Monstrum sollte auf der Auffahrt vor dem Esszimmer landen.
    »Was gäb ich drum, zusehen zu können, wie sie aus den Sofakissen hochschrecken«, sagte Jim. »Der Spaß wär mir ein Pfund wert … Na dann. Wir beginnen mit dem Schrank und machen von dort weiter.«
    Auf leisen Sohlen schlichen sie den Gang entlang in das Schlafzimmer, während Sarah-Jane am Treppenabsatz stehen blieb und ihnen nachsah. Von ihrem Platz aus hatte sie eine gute Sicht auf den Hausflur und durch das Korridorfenster auch auf den Vorgarten. Sie hörte Gelächter aus dem Esszimmer. Der Geruch von gebratenem Speck strömte aus der Küche nach oben, als ein Hausmädchen ein Tablett durch den Flur trug. Sarah-Jane glühte vor Aufregung.
    Die Dielenbretter knarrten. Ob man das unten hören konnte?
    Dann ein kratzendes Geräusch …
    Und plötzlich draußen ein mächtiges Krachen.
    Ins Haus kehrte mit einem Mal Stille ein; ein oder zwei Sekunden später hörte man einen Aufschrei des Erstaunens aus dem Esszimmer. Dann flogen weitere Gegenstände. Als Sarah-Jane hinaussah, regnete es Möbelstücke: ein Bett, zwei Stühle, ein Frisiertisch, ein halbes Dutzend Schubladen, eine nach der anderen und samt Inhalt – Krawatten, Oberhemden, Unterwäsche – alles lag, toten Vögeln gleich, auf dem Rasen zerstreut.
    Noch mehr Möbel flogen aus dem Fenster: ein Nachtschränkchen, ein Schreibtisch, noch ein Bett, noch eine Kommode, ein Korbstuhl, und dann wurde die Esszimmertür aufgerissen.
    »Was zum Teufel geht hier vor?«, schrie Parrish und blieb stehen, als er Sarah-Jane oben an der Treppe stehen sah.
    Vier Männer kamen hinter ihm hergeschossen und stießen ihn ein oder zwei Stufen hinauf, ehe sie zum Stehen kamen. Parrish hatte noch seine Serviette in der Hand. Ohne Sarah-Jane aus den Augen zu lassen, wischte er sich fein säuberlich den Mund ab.
    »In Ordnung«, sagte er.
    Das Funkeln in seinen Augen – Gier, Triumph und Zorn – erschreckte sie bis ins Mark und sie warf Hilfe suchende Blicke auf die Schlafzimmertür. Dann hörte man erneut ein lautes Krachen, etwas Schweres fiel auf die Auffahrt und alle Männer sprangen auf.
    »Da ist noch jemand oben«, sagte einer von ihnen.
    Parrish schleuderte die Serviette von sich und stürmte die Stufen hinauf. Sarah-Jane ging nervös einen Schritt zurück und fand Jim an ihrer Seite.
    »Wer ist das, Sarah-Jane?«, fragte er.
    Parrish blieb auf halber Höhe stehen und schaute nach oben.
    »Das ist Mr Parrish«, sagte Sarah-Jane mit kaum vernehmbarer Stimme. Sie trat beiseite, als Mr Mendel und die anderen an den Treppenabsatz gelaufen kamen. Sie hatte noch nie Menschen miteinander kämpfen sehen, wusste aber, dass es dazu nun unweigerlich kommen würde.
    Jim schickte sich an hinunterzugehen. Sarah-Jane verstand mit einem Mal, warum er sie durchs Fenster ins obere

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