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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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einfach umquartiert und ihnen den Platz neben der Tür zugewiesen. Dort sollten sie als Wächter fungieren und dafür sorgen, dass nichts Böses über die Schwelle tritt. Eine lächerliche Maßnahme vielleicht, aber sie hat gewirkt und mir geholfen, meinen Frieden mit den beiden Stücken zu machen. Heute haben sie eine Aufgabe und sind für mich da.
    Wenn meine Schulkarriere nicht so in den Graben gegangen wäre, hätte ich mich gerne mehr mit Physik befasst. Man könnte diese Zusammenhänge dann einfach besser erklären. Auch wenn nichts daraus geworden ist, weiß ich zumindest so viel, dass auch der Zufall einer Regel gehorcht, die wir nie am einzelnen Ereignis begreifen können, sondern nur an der großen Zahl. Wenn wir das Einzelne betrachten, verhalten wir uns wie ein Quantenphysiker, der immer da, wo er ein Teilchen herauszumessen versucht, auch tatsächlich eines findet. Weil er es durch seine Messung hervorruft. Er könnte es genauso zuverlässig an einer ganz anderen Stelle registrieren. Deshalb stoßen auch wir bei der Betrachtung unseres Lebens oft auf Unglück, wo wir ebenso gut dem Gegenteil hätten begegnen können.
     
10.
    – Darf ich Sie noch etwas fragen?
    Ich schrak auf. Ich war in mich versunken gewesen und hatte meinen Gedanken freien Lauf gelassen. Die junge Frau stand vor mir. Ihre Augen funkelten spöttisch.
    – Ganz zu Diensten, Gnädigste!
    – Ich habe gelesen, dass es hier Schrumpfköpfe geben soll. Kann sie aber nicht finden.
    Sie hielt mir ihren Führer unter die Nase und tippte auf ein Foto.
    – Da sind Ihre Informationen nicht mehr aktuell genug. Die Köpfe gibt es schon seit einigen Jahren nicht mehr.
    Ich tat so, als musterte ich das Foto. Ihr weißes kurzärmeliges Oberteil lag eng am Körper an und pauste den Spitzenbesatz ihres BH-Körbchens durch. Die Hitze draußen hatte die Luft im Schloss stickig gemacht. Ich bildete mir ein, dass ihr Dekolleté feucht glitzerte. Jedenfalls stieg mir ein anregend blumiger Duft ihres Parfüms in die Nase.
    – Warum denn das?
    Ihr Blick hatte etwas Herausforderndes.
    – Wollen Sie eine ernsthafte Antwort?
    Sie trat einen Schritt zurück.
    – Aber sicher!
    – Okay. Ich habe die beiden Köpfe begraben. Sie liegen in dem Rosenbeet neben dem Herrenhaus. Ich fand es einfach nicht mehr zu verantworten, dass wir hier Leichenteile ausstellen. Wie auch immer! Es handelte sich dabei um Menschen oder dem, was man von ihnen übrig gelassen hat. Das darf man nicht zeigen. Als bloße Kuriosität und nur zur Belustigung. Verstehen Sie?
    Sie legte ihre Stirn in Falten und nickte ganz ernst. Ihr Stimmungswandel verscheuchte allen Eros.
    – Verstehe ich gut, sagte sie.
    Ich geleitete sie nach unten. Vom Hoftor aus zeigte ich ihr die Kapelle.
    – Die Kapelle wäre auch noch zu besichtigen.
    Erst jetzt bemerkte ich, dass zwei Krähen ein Beet mit ihren Schnäbeln durchwühlten.
    – Weg da, schrie ich.
    Ich lief auf sie zu und klatschte in die Hände, um sie zu vertreiben. Sie hüpften aus dem Beet und flogen dann zum Kapellendach hoch. Ihr Krächzen klang wie ein frecher Protest. Ich warf einen Stein nach ihnen, und sie schwangen sich in den hellblauen sommerlichen Himmel empor. Als ich mich umdrehte und zurückging, war die junge Frau bereits verschwunden. Wie ein Raubtier seine Beute, so packte mich wieder das ungute Gefühl, das mir seit heute früh ständig auflauerte.
     
11.
    Professor David Ashton war bereits seit einigen Jahren emeritiert und daher von seiner Verpflichtung zur Lehrtätigkeit freigestellt, aber auf die ehrenvolle Aufgabe, Studenten in die Quantenmechanik einzuführen, mochte er nicht verzichten. Die geschichtsträchtige Vorlesungsreihe war von Paul Dirac auf ihn gekommen, einem der Gründerväter dieses Zweigs der Physik. Dirac war in Cambridge Gott gewesen und Ashton bezeichnete sich als einen seiner bescheidenen Jünger. Diesen bedeutenden Mann noch leibhaftig vorne am Pult erlebt zu haben begriff er als Privileg, ihn ersetzen zu dürfen als Ehre. Ashton hatte die siebzig bereits überschritten, war jedoch ein rüstiger alter Herr, der sich guter Gesundheit erfreute. Solange er noch seine fünf Sinne beisammenhalten konnte, wollte er auch weiterhin lesen.
    Das Thema brachte es mit sich, dass sich David Ashton wie einMagier inszenieren durfte. Richard Feynman, dem er sich im historischen Teil seiner Vorlesung ausführlich widmete, hatte provozierend behauptet, dass niemand die Quantenmechanik verstehe. Was das Publikum seiner

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