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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Gültiges vor. Im letzten Drittel des Jahrhunderts gaben neue Theorien über den Aufbau der Elementarteilchen dem Bemühen um die Weltformel wieder neuen Auftrieb. Allerdings vermied man das Wort der erfolglosen Vorgänger und sprach lieber, amerikanisch salopp, von einer
Theory of everything
.
    Ashton hob die Hand und bezahlte.
    Als er dann wenig später das Foyer der Arts School betrat, hatte sich die erwartungsvolle Zuhörerschaft bereits versammelt. Die Vorlesung lief, wie er es aus früheren Jahren kannte, Raunen, Lachen und Beifall – alles hatte bereits seinen festen Platz. Gegen Ende der Veranstaltung beantwortete er Fragen.
    – Sie haben heute Bertold Oftenhains Beitrag zur Entwicklung einer Weltformel besonders hervorgehoben, meldete sich eine Studentin zu Wort.
    – In der Tat. Der Wert seiner Arbeit wird unterschätzt. Er hat zudem nur sehr spärlich veröffentlicht, Literatur über ihn ist kaum zu bekommen.
    – Könnten Sie bitte die mathematische Argumentation, die Sie an der Tafel notiert haben, noch einmal kurz erläutern?
    Ashton wandte sich zur Tafel.
    – Ich verstehe, das Ganze mag etwas kryptisch wirken. Behelfen wir uns historisch: Im Moment des Urknalls ist die Weltformel praktisch am Wirken. Ein einfacher, zusammenhängender Ausdruck sollte daher diesen Moment beschreiben können. Wenn wir die Formel allerdings heute zu notieren versuchen, kehren wir die Entwicklung um und führen sie auf ihren absoluten Anfang zurück, in dem alles enthalten ist. Man darf dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass im weiteren Verlauf der Geschichte unseres Universums eine Aufsprengung dieser Einheit stattfindet, aus einer Naturkraft werden vier. Was Oftenhain uns zu sagen versucht, ist vor allem dies: Es genügt nicht, die Naturkräfte in sich zu verstehen, es kommt darauf an nachzuvollziehen, auf welche Weise sie aus der Brechung jener großen Symmetrie hervorgegangen sind. Solche Brechungen stellen uns nicht vor das unlösbare Paradox einer vermeintlich zufällig zusammengewürfelten Welt, im Gegenteil, mit ihnen gibt uns die Natur sogar wertvolle Hinweise. Man könnte sie mit den Rissen in tektonischen Platten vergleichen, Bruchstellen, an denen wir begreifen können, wie wir das Puzzle zusammenzufügen haben.
    Ashton blickte auf seine Uhr.
    – Wir werden darauf bei der nächsten Vorlesung noch einmal zu sprechen kommen. Eine Literaturliste zu Oftenhain stelle ich Ihnen bis dahin gerne zur Verfügung.
    Der Saal leerte sich rasch.
    – Hallo, David!
    Professor Ashton, der Anstalten machte zu gehen, drehte sich um und erkannte Fred Fridge. Als Alumni des St. Matthew’s College verband beide eine jahrzehntelange Bekanntschaft. Fred Fridge hatte Politikwissenschaften absolviert, nähergekommen waren sie sich in einem akademischen Zirkel, der sich
Clerkies
nannte. Während sich in anderen Colleges von Cambridge das Geschwür des Stalinismusdurch die Reihen fraß und viele der besten Köpfe die Sowjetunion unterstützten, manche sogar zum KGB überliefen und aktiv Geheimnisverrat betrieben, versuchten sie im St. Matthew’s ein patriotisches Banner aufzupflanzen. Ihre, wie sie das empfanden, historische Mission hatten die
Clerkies
erfüllt. Was blieb, war ein Kreis von Ehemaligen, vorwiegend aus Regierung und Nachrichtendienst, die sich regelmäßig trafen und mit großer Debattierlust steile Thesen, Gerüchte, aber auch Hintergrundinformationen austauschten.
    Auch Fred Fridge war ehrenvoll aus dem Staatsdienst ausgeschieden und verzehrte seine wohlverdiente Pension. Er ließ es sich nicht nehmen, hin und wieder akademische Veranstaltungen, die ihn interessierten, zu besuchen und war auch schon früher unregelmäßiger Gast in Ashtons Vorlesung gewesen.
    – War das heute dein Memento für Bertold Oftenhain?
    Ashton kniff die Augen zusammen und betrachtete Fred.
    – Was zum Teufel meinst du damit, Fred?
    Fred wechselte zu konspirativer Vertraulichkeit. Er fasste Ashton am Unterarm und dämpfte seine Stimme.
    – Bei den
Clerkies
ging es doch schon um!
    – Ich war auf Reisen, Fred, und bin beim letzten Treffen nicht dabei gewesen.
    – Dann weißt du es noch gar nicht?
    Ashton schüttelte den Kopf.
    – Was denn?
    Fred zog ihn noch näher zu sich heran.
    – Oftenhain ist vor einigen Tagen umgebracht worden. Zwei Schüsse.
    Ashton ging auf Distanz.
    – Was für ein Unsinn! Bertold Oftenhain liegt seit ziemlich genau vierzig Jahren unter der Erde.
    – Wem sagst du das! Ich kann mich sogar noch an die Urne

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