Der Tod bin ich
völkerkundliche Sammlung. Die meisten unserer Ausstellungsstücke sind Kultgegenstände. Sie besitzen Kraft, weil sie ein magisches oder religiöses Ritual repräsentieren. Nur aus der Distanz betrachtet, sind es exotische Stücke, die einen gleichgültig lassen. Denn wehe, sie rücken uns zu nahe! Noch nicht einmal der aufgeklärteste Mensch würde sie in seinem Schlafzimmer dulden. Auch wenn wir sie nicht wirklich verstehen, rühren sie doch an etwas Archetypisches in uns. In der Angst, die ich damals in der Freinacht ausgestanden hatte, zeigten diese Stücke ihre Macht. Sie erzwingen eine Stellungnahme, man meidet oder flieht sie, ihre Nähe wird nur im Eingeständnis erträglich, dass sie etwas bedeuten, das uns übersteigt. Meine Arbeit brachte es mit sich, mich mit ihnen arrangieren zu müssen.
Ich habe mir einen ganz eigenen Reim darauf gemacht. Für unser Forum der Astronomiefreunde wollte ich das schon einmal in einem längeren Beitrag beschreiben. Leider ist mir der Text nicht so gelungen, wie ich ihn gerne gehabt hätte. Plötzlich klang alles ziemlich naiv, und ich behielt meine Gedanken lieber bei mir. Nur Eulmann gegenüber traute ich mich, meine Überlegungen preiszugeben.
Jenseits unserer Welt, in der alles so geordnet und erklärbar oder wenigstens nach unserem Willen zugeht, kennen wir nur den großen Bereich des Zufalls. Das ist, als würde jenseits unseres gut gepflegten Gärtchens eine Wildnis ungeahnten Ausmaßes beginnen. Dort herrschen Gesetze, die niemand versteht, sicher ist nur, dass sie dem, was wir erwarten, zuwiderlaufen. Was uns daraus zustößt, ist selten Glück, meistens Unglück, so oder so ist es Schicksal. Man nimmt es an, demütig oder fluchend, man begehrt dagegen in sinnlosem Stolzauf, dem Schicksal oder dem, der es über uns gebracht hat, ist das eine so gleichgültig wie das andere.
Kaum einer pflegt einen einsichtigen Umgang mit diesem dunklen Bezirk. Viele halten große Stücke auf ihre vernünftige Weltsicht, was da nicht hineinpasst, überlässt man besser den Betschwestern oder Esoterikern. Sagen sie. Wenn sie allerdings einen Lottoschein ausfüllen, geben sie wie selbstverständlich ihre Glückszahlen an, das eigene Geburtsdatum, Mutters Hochzeitstag oder was auch immer. Sie hängen sich Amulette um den Hals, lassen sich das Zeichen eines chinesischen Glücksdrachens oder ein Hexagramm auf das Hinterteil tätowieren, wenn sie etwas Wichtiges vorhaben, praktizieren sie irgendwelche Rituale, wie den Morgenkaffee aus ihrer Kindertasse zu trinken, oder sie spenden, zünden Kerzen an, lesen Horoskope. Jeder hat so seine Tricks, den angeblich großen Geist, der über allem waltet, in seine ganz persönliche Abhängigkeit zu bringen. Am besten steht man da, wenn er einem etwas schuldet.
Natürlich fühlt sich eine ganze Handvoll Gefestigter vor jeglichem Humbug gefeit, sie sind vernünftig bis auf die Knochen. Ihre Kritikfähigkeit rührt von einem großen Misstrauen allem Gesundbeten gegenüber her. Das Einfallstor für Aberglauben ist bei ihnen ein komplett anderes: Quält sie beispielsweise ein Dauerkopfschmerz, sind sie sicher, dass sie einen Tumor haben. Oder sie werden von Zukunftsängsten gepeinigt. Ihr Leben ist umstellt von Feinden. Sie werden krank. In allen diesen Fällen lässt sich beobachten, wie ihre unbestechliche Logik umschaltet, sie wird assoziativ und folgt einer Spur der Angst, die immer den größtmöglichen Unglücksfall als unausweichlich ausmalt.
Man muss daher die Existenz dieses dunklen Bereichs anerkennen. Erstaunlicherweise tun das die wenigsten. Sie finden es angemessener, sogar tapferer, das alles als bloßes Hirngespinst abzulehnen, obwohl sie doch gleichzeitig versuchen, das Undurchsichtige mit denprimitivsten magischen Mitteln zu kontrollieren. Drei Mal auf Holz zu klopfen oder sich mit anderen unzureichenden Lebensbewältigungs-Strategien in die Tasche zu lügen ist genauso beschämend, wie sich mit Hypochondrie, Beruhigungsmitteln oder Sauferei in seinen Ängsten zu suhlen.
Was aus diesem dunklen Bezirk vor einen hin tritt, dem sollte man mit klarem Verstand und geschärfter Intuition begegnen. Durch Eulmann habe ich auch ausgefallene Lösungen akzeptieren gelernt. Mit der glosenden Niedertracht des polynesischen fremden Gottes habe ich mich ebenso lange herumgequält wie mit der Boshaftigkeit dieser schildförmigen afrikanischen Tanzfratze. Deren Schwingungen waren einfach immer ungut. In einer mutigen Aufwallung habe ich beide
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