Der Tod des Zauberers
ihn soeben gesprochen.«
Merkwürdigerweise hatte ich das Gefühl, es wäre Victoria Textor lieber gewesen, wenn ich dem Jungen nicht begegnet wäre. Ich wollte es mir verkneifen, aber meine Neugier auf ihre Reaktion war stärker als mein Zartgefühl und die Rücksichtnahme auf ihre überbeanspruchten Nerven: »Ja, er erzählte mir von dem geheimnisvollen Mord, der am Tage von Stephans Unfall in Achenreuth geschehen ist. Eine scheußliche Geschichte...«
Ich sah, wie sich ihre Hände so fest um die kardinalfarbenen Seidenpolster der Armstützen ihres Sessels schlossen, daß die Knöchel weiß aus der bräunlichen Tönung der Handrücken schimmerten.
»Wie hieß der Ermordete doch gleich?«
Ich bekam keine Antwort.
»Ach richtig, jetzt erinnere ich mich — Manueli, nicht wahr? Ein Artist, wie ich erfahren habe. Sehr merkwürdig... Was hatte er eigentlich auf Pertach zu suchen?«
Ihre Hände entspannten sich, die Fingerspitzen zuckten nervös über den alten Brokat, dessen Goldfäden fast schwarz geworden waren. »Er interessierte sich für alte Gläser und frühes Porzellan, besonders für Chinoiserien aus den Werkstätten von Auffenwerth und Seutter...«
»Da schau her! Also nicht nur ein Sammler, sondern sogar ein Kenner! Für einen Artisten eigentlich erstaunlich. Man stellt sich solche Leute ohne rechten Wohnsitz vor, wozu weder Auffenwerth noch Seutter recht passen, nicht wahr? Kannte Stephan den Mann eigentlich von früher her?«
»Nein!« entgegnete sie ein wenig heftig, als beantworte sie diese und ähnliche Fragen nun schon zu wiederholten Malen.
»Entschuldigen Sie, Vicky«, bat ich, »ich vergaß, daß Sie wegen dieser Angelegenheit schon Unannehmlichkeiten genug gehabt haben. Aber Sie werden verstehen, daß der Fall mich als alten Kriminologen interessiert.«
»Ach bitte, Paul!« rief sie und preßte die Fingerspitzen der erhobenen Hände gegeneinander, »tun Sie mir den Gefallen und schweigen Sie von dieser gräßlichen Geschichte! Sie wissen, daß ich eine begeisterte Leserin Ihrer Romane bin, aber der Gedanke, daß solche Dinge sich real und dazu in der unmittelbaren Nähe von Pertach abgespielt haben, macht mich einfach krank. Ich habe mich nie gefürchtet, auch nicht, wenn Stephan und die Kinder auswärts waren und ich hier mit Sofie mutterseelenallein hauste. Aber jetzt habe ich nicht mehr die Nerven...«
»Nun, nun«, beruhigte ich sie, »jetzt haben Sie nicht nur Sofie und Hansi, sondern auch Alex als männlichen Schutz im Hause!«
»Ja, und ich bin sehr froh darum, und ich möchte auch, daß er hier bleibt.«
»Ich nehme an, daß Sie in diesem besonderen Falle keine allzu großen Schwierigkeiten haben werden, für Alex einen Urlaub von vierzehn Tagen oder drei Wochen zu erwirken.«
»Stephan wird im günstigsten Falle — meint Professor Salfrank — ein halbes Jahr in Gips liegen müssen und klinische Behandlung brauchen. Vielleicht sogar noch länger...«
»Oh, und so lange wollen Sie Alex hierbehalten? Ich fürchte, daß die Schule damit kaum einverstanden sein wird, besonders nicht jetzt, da Alex kurz vor dem Examen steht. Es sei denn, Sie nähmen Alex für ein ganzes Jahr heraus. Aber ob er selber dann noch Lust haben wird, das verlorene Jahr nachzuholen?«
Wahrscheinlich hätte mir der junge Mann, wenn er dabeigewesen wäre, den Absatz auf die Zehen gestellt. Aber plötzlich fand ich es sinnlos, daß der Junge einer nervösen Laune wegen die mit beträchtlichen Kosten verbundene Landschulheimerziehung nun so kurz vor dem Ziel abbrechen sollte. Ich war weit von der Meinung entfernt, daß der Akademiker bei der Auferstehung zur Rechten Gottes zu sitzen käme, aber ich war mir aus eigener Erfahrung darüber klar, daß gerade in freien Berufen der Doktortitel auf der Visitenkarte einen nicht zu unterschätzenden Handelswert besaß. Natürlich, ein Mann wie Stephan Textor hatte solch einen Titel nicht nötig, aber wer konnte von Stephans Sohn schon sagen, daß er eine abgeschlossene Bildung und einen Titel nicht brauchen würde? Ich äußerte diese Bedenken auch vor Victoria, aber sie schien in ihrem Entschluß, Alexander aus der Schule zu nehmen, vielleicht gerade durch meine schwachen Einwände um so fester geworden zu sein.
»Sie mögen recht haben, Paul — aber auch Stephan hielt diese lange Schulzeit, zum mindesten das letzte Jahr, für Zeit- und Geldverschwendung. Es ist wichtiger, daß Alex ins Ausland geht und, wenn ihm schon Stephans Nase und Finderglück fehlt, um so
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