Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
fortan nicht mehr und gab sich dem Müßiggang hin. Spielte den großen Herrn, trieb sich auf der neuen Rennbahn in der Freudenau herum und verlor das Geld, das ihm seine Mutter zusteckte, an den Spieltischen. Als er schließlich wegen eines geplatzten Wechsels Schwierigkeiten bekam, half ihm seine Tante mit ihren Ersparnissen aus der Patsche. Er war bis heute überzeugt, dass sein Vater ihn vor der Schmach, ins Gefängnis zu wandern, gerettet hatte. Als er dann wegen des leidigen Wohlstandsbetrugs noch einmal in Konflikt mit dem Gesetz geraten war, half ihm sein Freund Rudi. Doch Gustav glaubte, dass sein Vater auch diese üble Geschichte vertuscht hatte.
„Warum mischt er sich schon wieder in mein Leben ein?“, brachte er nun doch die Sprache auf seinen Erzeuger. „Er hat sich nie zu mir bekannt. Weder mir noch Mama eine Apanage gezahlt. Warum lässt er mich nicht in Frieden? Ich bin mir sicher, dass ich diesen Auftrag ihm verdanke. Dieses Mal hat er halt als Mittelsmann den guten Doktor Lipschitz eingesetzt. Ich mag es nicht, dass er in meinem Leben im Hintergrund die Fäden zieht. Ich bin nicht seine Marionette!“
„Reg dich nicht auf. Wer weiß, ob er dahintersteckt.“
„Ich finde sein Verhalten mir gegenüber herablassend, ja sogar demütigend.“ Er bemerkte selbst, dass er sich in Rage redete.
„Du bist eben sein einziger Sohn.“
„Kann ich was dafür, dass der Herr Graf eine langnasige und froschmäulige Comtesse meiner schönen Frau Mama vorgezogen und mit ihr nur drei entsetzlich hässliche Töchter zusammengebracht hat?“
„Seine Eltern haben ihn zu dieser Heirat gezwungen, das weißt du. Sie hat ein riesiges Vermögen mit in die Ehe gebracht. Außerdem ist sie die Tochter des Fürsten Schaumburg ...“
„ ... die übrig geblieben war ...“
„Jetzt hörst aber auf!“
„Na, wenn’s wahr ist.“
Gustav hatte vor allem in früheren Jahren oft vom Titel und dem Vermögen seines Herrn Papa geträumt. In Österreich gehörten etwa zweihundert Familien der Aristokratie an. Von Adel waren unzählige, jeder dritte Beamte, jeder zweite Offizier war ein Adeliger. Die wirklichen Aristokraten schauten auf diese frisch geadelten Bürgerlichen herab.
„Die Lieblingsbeschäftigung der Aristokraten ist das Rangspiel. Und du bist nicht besser als sie. Hast du nicht gerade darauf gepocht, dass wir schon länger den Adelstitel haben als die Schwabenaus?“ Vera war verstimmt über seine frauenfeindlichen Bemerkungen von vorhin. Sie hatte ihren Neffen längst durchschaut. Obwohl Gustav andauernd über die Aristokraten schimpfte, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dazuzugehören. Sie hatte keine Lust auf diese unerquickliche Diskussion, die sie schon hundertmal geführt hatten.
„Ich muss weiterarbeiten. Morgen ist Abgabetermin. Mein Artikel über die Notwendigkeit, Frauen endlich zum Medizinstudium zuzulassen, schreibt sich nicht von allein. In Wien herrscht akuter Ärztemangel, wie du weißt. Vor allem die ärmeren Leute leiden unter notorischer medizinischer Unterversorgung.“
„Jaja, rette die ganze Welt. Nie kann man mit dir reden, nie hast du Zeit.“
„Du bist ungerecht.“ Lachend fügte sie hinzu: „Die Aristokraten sind eben Herr ihrer Zeit, das unterscheidet sie von uns Normalsterblichen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen.“
„Du hättest mich nur in den Jockeyclub reinbringen müssen, dann wäre ich ein gemachter Mann.“
Der Wiener Jockeyclub war 1866, vier Jahre nach Gustavs Geburt, gegründet worden und hatte 1868 das erste Derby auf der Rennbahn Freudenau organisiert. Doch dieser Jockeyclub veranstaltete nicht nur die großen Galopprennen, sondern hatte auch weitreichende politische Macht. Seine Mitglieder waren allesamt Angehörige der Aristokratie. Und wer in der Wiener Gesellschaft Ansehen genießen wollte, musste sich bemühen, im Jockeyclub aufgenommen zu werden.
„Wenn du mir sagst, wie ich das hätte bewerkstelligen sollen ...“
„Unser großer Gönner, der Herr Graf, ist Mitglied, soviel ich weiß“, unterbrach Gustav seine Tante streitsüchtig.
„Leg dich lieber nicht mit ihm an. Außerdem hat er dir genug geholfen.“
„Das war seine Pflicht, oder? Schließlich ist er mein natürlicher Vater.“
Vera hatte nach dem Tod ihrer Schwester kein Interesse daran gehabt, mit deren Liebhabern weiter in Kontakt zu bleiben. Die Briefe des Grafen, die nach Giselas Tod regelmäßig zu Gustavs Geburtstag und zu Weihnachten eingelangt waren,
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