Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
hatte sie ungeöffnet zurückgesandt. Es war ein Fehler gewesen, Gustav von diesen Briefen zu erzählen. Er hielt es ihr bis heute vor.
Als Gustav zum Militär eingezogen wurde, hatte sie ein einziges Mal mit dem Grafen ein längeres ernsthaftes Gespräch geführt. Gisela hatte gerade ihre tödliche Krankheit diagnostiziert bekommen und andere Sorgen gehabt, als sich um ihren missratenen Sohn zu kümmern.
Gustav hatte es dann bei der Armee, trotz seiner früheren Schandtaten, zum Oberleutnant gebracht. Von der Protektion seines Vaters hatte er zum Glück nie etwas erfahren. In der österreichisch-ungarischen Monarchie benötigte man für alles Empfehlungsschreiben, selbst fürs Militär.
Nach acht langen öden Jahren in den diversen Garnisonen am Rande des großen Reiches nahm Gustav seinen Abschied. Die strenge Disziplin in dieser geschlossenen, dem Untergang geweihten Anstalt hatte ihm von Anfang an nicht behagt. Außerdem lag seine Mutter im Sterben. Sie starb in seinen Armen. Schien nur auf seine Heimkehr gewartet zu haben. Gisela hinterließ ihm ihren wertvollen Schmuck, von dem sie sich in all den Jahren nie hatte trennen können, selbst wenn ihnen das Wasser manchmal bis zum Hals gestanden war. Gustav versetzte die Juwelen seiner Mutter, ging nach Paris und danach ein Jahr nach London. Erst nach seiner Rückkehr aus der großen weiten Welt versuchte er es mit Arbeit. Beeinflusst von der Kriminalliteratur Sir Conan Doyles und den Kriminalgeschichten der österreichischen Schriftstellerin Auguste Groner, die eine Freundin seiner Tante war, beschloss er, Privatdetektiv zu werden. Die überragende Intelligenz und Kombinationsfähigkeit dieser literarischen Figuren beflügelten Gustavs Ehrgeiz, und die Schrulligkeiten und Extravaganzen des großen Meisterdetektivs Sherlock Holmes imponierten ihm ungemein. Endlich ein Vorbild nach seinem Geschmack!
Er inserierte in diversen Zeitungen: „Detektei Karoly, Nachforschungen aller Art“, und hoffte, die guten Kontakte seiner Tante würden ihm bei der Suche nach Klienten nützlich sein. Sein Freund Rudi hatte diese Idee anfangs dekadent gefunden, mittlerweile unterstützte selbst er Gustavs Bemühungen, als Privatdetektiv zu reüssieren.
Nachdem sich seine Tante zurückgezogen hatte, hörte Gustav noch lange das Klappern ihrer Schreibmaschine. Leider waren ihre Zimmer durch eine schmale Tapetentür miteinander verbunden.
Das Gespräch über seinen Vater hatte ihn sehr aufgewühlt. Er konnte nicht einschlafen, ließ die Kerzen auf den beiden fünfarmigen Kandelabern brennen und starrte auf den riesigen dunkelbraunen Kachelofen. Er hasste dieses grässliche Ungetüm. Hätte es am liebsten abreißen und durch einen modernen Ofen ersetzen lassen. Doch er musste zugeben, dass sein Zimmer im Winter das wärmste war. Selbst Tante Vera flüchtete sich manchmal an seinen Schreibtisch, wenn der kleine schwarz-weiße Kachelofen in ihrem Zimmer nicht mehr als sechzehn Grad Raumtemperatur zusammenbrachte.
Von seinem Bett aus konnte er tagsüber durch die beiden hohen Fenster den Turm des Stephansdoms und die Hofburg sehen. Meistens blieb sein Blick auf dem riesigen Hintern der Kaiserin Maria Theresia hängen, der sich genau in seiner Augenhöhe befand, wenn er am Bett herumlümmelte.
Unruhig wälzte er sich hin und her, betrachtete die beschaulichen volkstümlichen Genrebilder, die an der Wand links von seinem Bett hingen. Selbst der Anblick dieser langweiligen Schäferidyllen brachte ihn nicht zum Einschlafen. Als er sich umdrehte, starrte er in die Augen seiner Großeltern und seiner verstorbenen Mutter. Der Maler, der diese Porträts verbrochen hatte, gehörte ebenfalls zur Makart-Schule. Gustav fand die Bilder scheußlich, wagte aber nicht, sie zu entfernen, da Tante Vera sehr an ihnen hing. Eigentlich hatte sie einen guten Geschmack. Wahrscheinlich aber war sie, trotz ihres strengen Gehabes, ein bisschen romantisch und sentimental veranlagt.
Das monotone Tippen seiner Tante schläferte ihn schließlich doch ein.
Freitag, 3. Juli 1897
5
Als Gustav erwachte, fiel ihm sogleich die unangenehme Diskussion von gestern Abend ein. Er fragte sich, ob Tante Vera eine Entschuldigung für sein kindisches Benehmen erwartete. Entschuldigungen waren ihm nie leicht über die Lippen gekommen.
Auch wenn er die frauenrechtlerischen Aktivitäten seiner Tante manchmal belächelte, bewunderte er sie und teilte in anderen politischen Fragen meist ihre Meinung. Nicht nur er hatte die
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