Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
er wieder in die Kutsche stieg.
„Zu den Zigeunern?“
„Ja.“
Edi fragte nicht nach. Gustav schätzte die Zurückhaltung des jungen Burschen. Manchmal kam ihm jedoch der Gedanke, dass Edis mangelnde Neugier ein Zeichen von Dummheit sein könnte.
Nachdem sie den Donaukanal überquert hatten und die Praterstraße entlangkutschierten, wurde der Lärm noch schlimmer. Dieser breite Boulevard war eine einzige Baustelle.
Die selbstbewussten Bürger wollten die Praterstraße ebenfalls mit Prachtbauten ausstatten. Angeblich – um dem Kaiser zu huldigen – sollte sie zukünftig die Vielfalt der Provinzen der Habsburgermonarchie dokumentieren. Der Dogenhof, ein Hotel im Stil eines venezianischen Palazzo, genauer gesagt eine Kopie der Fassade des Ca’ d’Oro, war bereits fertig. Ringsherum wurde nach wie vor viel gebaut.
Gustav war froh, als die Vermählungswiese in Sicht kam.
Dutzende Planwägen und andere Fuhrwerke bildeten auf der großen Wiese eine Art Wagenburg im Schatten der alten Bäume.
„Soll ich nicht lieber mitkommen?“ Edi hatte seinen Fiaker am Wegesrand zum Stehen gebracht.
„Nein. Du kannst zurückfahren. Bestimmt kriegst du eine Fuhr am Praterstern. Ich brauche dich nicht mehr.“
Obwohl er keine Ahnung hatte, an wen er sich wenden sollte, schritt er forsch auf zwei Planwägen zu, vor denen ein paar Leute standen.
Die Zigeuner musterten ihn mit neugierigen Blicken. Mit Gehrock, Halbzylinder und Spazierstock sah er aus wie ein reicher Stutzer. Er bildete sich ein, auch so manch bösen Blick zu ernten, kümmerte sich aber nicht darum und fragte in die Runde: „Kennt einer von euch Leonie von Leiden?“
Kopfschütteln und Achselzucken.
„Lügt mich nicht an. Ihr kennt das Mädchen, habt es vor zwei Jahren einmal bei euch versteckt.“
„Vor zwei Jahren waren wir nicht in Wien“, sagte ein älterer Mann mit einem imponierenden grauen Schnurrbart.
„Dann würde ich gern mit jemandem sprechen, der damals hier war.“
Der ältere Zigeuner winkte einen Jungen heran, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Kleine verschwand daraufhin in einem Wagen und kam kurze Zeit später mit einer schönen Frau im Schlepptau zurück. Ihre Gesichtszüge waren zwar nicht ebenmäßig, aber ihre großen schwarzbraunen Augen und ihr süßer herzförmiger Mund brachten wahrscheinlich jeden Mann um den Verstand. Sie hatte prächtiges schwarzes lockiges Haar, das ihr fast bis zum Hintern reichte, und große Brüste, die ihre weiße, weit ausgeschnittene Bluse kaum bedeckte. Ein dünner, farbenfroher, langer Rock umschmeichelte ihre Beine. Um die Mitte trug sie eine bunte Schärpe, die ihre schlanke Taille betonte. Sie war barfuß.
Gustav starrte auf ihre zarten Fesseln, als sie aufreizend ihre Hüften schwenkend auf ihn zukam.
„Mein Name ist Sylvia.“ Sie reichte ihm die Hand.
Er brachte kein Wort heraus. Als er endlich ihre Hand ergriff, spürte er den Schweiß über seinen Rücken rinnen. In diesem Moment wusste er, dass er diese Frau haben musste. Noch nie in seinem an Liebesaben-teuern durchaus nicht armen Leben war ihm so etwas passiert. Er konnte plötzlich an nichts anderes mehr denken, als ihre Lippen zu küssen, ihre Brüste zu liebkosen, ihre Schenkel zu streicheln und ihre Fessel zu berühren …
Da er sie nach wie vor wortlos anstarrte, fragte sie ihn: „Sie suchen jemanden, hat man mir gesagt?“
„Ja, Leo … Leonie von Leiden. Kennen Sie die junge Dame?“
„Ja, ich habe die Ehre, mit dem gnädigen Fräulein bekannt zu sein.“
„Haben Sie Leonie in letzter Zeit gesehen?“
„Leider nein. Schon seit zwei Jahren nicht mehr. Das habe ich bereits ihrer Mutter erzählt, als sie vor ein paar Tagen hier war und nach ihrer Tochter gefragt hat.“
Ihr Akzent war hinreißend, sie sprach ein wunderbar weiches Deutsch. Er riss sich zusammen.
„Haben Sie eine Vermutung, wo sich die Kleine versteckt halten könnte?“
„Wir hatten, seit sie vor zwei Jahren bei uns Unterschlupf gesucht hatte, keinen Kontakt mehr miteinander. Ihr Großvater hat ihr strengstens verboten, uns zu besuchen. Er ist ein einflussreicher Mann …“
„Ich weiß.“
„Er hat uns ausrichten lassen, dass er uns verjagen würde, falls sich einer von uns in ihrer Nähe blicken …“
„Kennen Sie irgendwelche Freunde von ihr im Prater? Oder in der Freudenau? Angeblich liebt sie Pferde“, unterbrach er sie.
Sylvia schüttelte den Kopf.
Er starrte auf ihr langes lockiges Haar, das ihre olivfarbenen hohen Wangenknochen
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