Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
eher die Toten sezierte, als die Lebenden zu behandeln, einen düsteren Ruf erworben, dem sein unglückseliges Äußeres nicht eben entgegenwirkte. Sein beinahe kindlich feines Haar war so hell, dass es fast weiß wirkte; er trug es aus dem fahlen Gesicht gekämmt, dessen kleine Augen unter den dünnen Brauen argwöhnisch in die Welt blickten. Seine langen Finger waren sorgfältig manikürt, und was man allgemein von ihm hielt, hatte die Köchin von Highmarten einmal treffend zusammengefasst. »Dieser Dr. Belcher kriegt mich nicht in die Hände – wer weiß schon, was die zuletzt angefasst haben!«
Auch die zwei kleinen Zimmer im Obergeschoss, die er sich als Laboratorium eingerichtet hatte, trugen nicht dazu bei, seinen Ruf als unheimlicher Exzentriker zu verbessern. Man munkelte, dass er dort Experimente durchführte, um herauszufinden, wie schnell Menschenblut unter verschiedenen äußeren Bedingungen zu gerinnen begann und welche Veränderungen sich in welcher Zeitspanne an Leichen vollzogen. Offiziell war er Allgemeinmediziner, hatte aber nur zwei Patienten, nämlich den Polizeidirektor und Sir Selwyn Hardcastle, und da nie jemand gehört hatte, dass einer dieser beiden Herren jemals krank gewesen wäre, konnte ihr Ansehen seine Reputation als Mediziner auch nicht erhöhen. Sir Selwyn und einige andere Diener des Gesetzes hielten große Stücke auf ihn, weil er seine ärztliche Meinung vor Gericht stets mit großer Autorität vortrug. Er war korrespondierendes Mitglied der Royal Society, stand in Briefkontakt zu anderen Gentlemen, die sich mit wissenschaftlichen Experimenten beschäftigten, und zumindest die gebildetsten seiner Nachbarn zeigten eher Stolz auf sein öffentliches Ansehen als Angst vor den kleinen Explosionen, die sein Laboratorium gelegentlich erschütterten. Fast immer ergriff er das Wort erst nach langem Nachdenken; jetzt trat er dicht ans Bett und betrachtete schweigend den schlafenden Mann.
Die Lippen leicht geöffnet, atmete Wickham so schwach, dass die Atemzüge fast unhörbar waren. Er lag auf dem Rücken; sein linker Arm hing aus dem Bett, der rechte lagerte angewinkelt auf dem Kissen.
Hardcastle wandte sich an Darcy und sagte: »Er ist offensichtlich nicht mehr in dem Zustand, in dem er sich Ihren Worten zufolge befand, als man ihn herbrachte. Man hat ihm das Gesicht gewaschen.«
Nach einigen Sekunden des Schweigens erwiderte Darcy, den Blick auf Hardcastles Augen gerichtet: »Ich übernehme die Verantwortung für alles, was geschehen ist, seit Mr. Wickham in mein Haus gebracht wurde.«
Hardcastle reagierte überraschend. Sein langgezogener Mund zuckte für einen flüchtigen Moment so, dass man bei jedem anderen Menschen von einem nachsichtigen Lächeln gesprochen hätte. »Sehr ritterlich von Ihnen, Darcy, aber ich denke, in dieser Sache müssen wir uns an die Damen wenden. Die sehen es doch als ihre Aufgabe an, die Unordnung, die wir in unseren Zimmern und manchmal auch in unserem Leben anrichten, wieder in Ordnung zu bringen, nicht wahr? Gleichwohl werden wir von Ihrer Dienerschaft genug darüber erfahren, in welchem Zustand sich Wickham befand, als man ihn herbrachte. Sein Körper wirkt frei von sichtbaren Verletzungen, wenn man von einigen kleineren Kratzern an Stirn und Händen absieht. Bei einem Großteil des Bluts wird es sich um das von Captain Denny gehandelt haben.«
Dann richtete er das Wort an Dr. Belcher. »Ihre schlauen Wissenschaftlerkollegen, Belcher, haben wohl noch nicht herausgefunden, wie man das Blut eines Menschen von dem eines anderen unterscheiden kann? Das wäre uns nämlich eine große Hilfe, auch wenn ich dadurch mein Amt und Brownrigg und Mason ihre Stelle verlieren würden.«
»Nein, bedauerlicherweise nicht. Wir wollen uns schließlich nicht zu Göttern erheben.«
»Ach wirklich? Da bin ich aber froh. Ich war nämlich durchaus der Meinung.« Als hätte er bemerkt, dass das Gespräch eine nicht angebrachte Unbeschwertheit anzunehmen begann, drehte er sich zu Dr. McFee um und fragte ihn in scharfem, richterlichem Ton: »Was haben Sie ihm verabreicht? Er macht nicht den Eindruck zu schlafen, eher wirkt er bewusstlos. War Ihnen nicht bekannt, dass dieser Mann der Hauptverdächtige in einer Mordermittlung sein könnte und ich ihn verhören will?«
»Für mich, Sir«, erwiderte McFee ganz ruhig, »ist er schlicht mein Patient. Als ich ihn zuerst sah, war er sichtlich betrunken, reagierte gewalttätig und hatte sich nicht mehr unter Kontrolle.
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