Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
Später redete er dann, noch ehe der von mir verabreichte Schlaftrunk seine volle Wirkung entfaltet hatte, vor lauter Angst zusammenhangslos daher und schrie irgendwelchen Unsinn. Offenbar hatte er die Vision von Leichen, die mit langgezogenem Hals am Galgen hingen. Er hatte diesen Alptraum schon, bevor er in Schlaf fiel.«
»Galgen? Kaum verwunderlich angesichts seiner Lage«, meinte Hardcastle. »Was haben Sie ihm gegeben? Etwas Beruhigendes, nehme ich an.«
»Es handelt sich um ein von mir selbst hergestelltes und schon häufig verabreichtes Mittel. Ich konnte ihn zur Einnahme überreden, indem ich ihm versicherte, dass es seine Pein lindern werde. In dieser Verfassung war aus ihm nichts Vernünftiges herauszubekommen.«
»So wie jetzt allerdings auch nicht. Wann wird er Ihrer Ansicht nach aufwachen und nüchtern genug sein, um verhört zu werden?«
»Schwer zu sagen. Manchmal flüchtet sich das Gehirn nach einem Schock in die Bewusstlosigkeit, dann schläft der Patient tief und sehr lange. Nach der verabreichten Dosis zu urteilen müsste er morgen um neun Uhr, vielleicht auch früher, wieder wach sein. Genauere Angaben kann ich nicht machen. Er ließ sich nur mit Mühe dazu überreden, mehr als ein paar Schlucke von dem Mittel zu trinken. Mr. Darcys Einverständnis vorausgesetzt, bleibe ich, bis mein Patient das Bewusstsein wiedererlangt hat. Auch Mrs. Wickham untersteht meiner ärztlichen Betreuung.«
»Und ist wahrscheinlich ebenfalls ruhiggestellt und nicht vernehmungsfähig.«
»Mrs. Wickham stand unter Schock, sie war vollkommen verzweifelt und hysterisch. Sie hatte sich in den Gedanken hineingesteigert, ihr Mann sei tot. Ich hatte es mit einer vor Kummer völlig außer Rand und Band geratenen Frau zu tun, die unbedingt Schlaf brauchte. Man hätte nichts aus ihr herausbekommen.«
»Ich hätte ihr vielleicht die Wahrheit entlockt. Doktor, ich denke, wir verstehen uns. Sie haben Ihre Verpflichtungen, ich habe meine. Und ich bin durchaus kein Unmensch. Mrs. Wickham soll bis morgen früh unbehelligt bleiben.« Er wandte sich an Dr. Belcher. »Haben Sie irgendwelche Auffälligkeiten festgestellt, Belcher?«
»Nein, Sir Selwyn. Ich möchte nur hinzufügen, dass ich Dr. McFees Entscheidung, Wickham ein Beruhigungsmittel zu verabreichen, gutheiße. In dem beschriebenen Zustand hätte ein Verhör nichts erbracht, und in einer etwaigen Verhandlung wäre wohl alles, was er gesagt hätte, angefochten worden.«
»Dann komme ich morgen um neun Uhr wieder, Mr. Darcy«, sagte Hardcastle. »Hauptwachtmeister Brownrigg und Wachtmeister Mason bleiben als Aufsicht und nehmen den Schlüssel an sich. Falls Wickham Dr. McFees Dienste benötigt, werden sie ihn rufen. Ansonsten darf bis zu meiner Rückkehr niemand diesen Raum betreten. Die Wachtmeister brauchen ein paar Decken und etwas zu essen und zu trinken – Wurst, Brot, das Übliche.«
»Es wird für alles Nötige gesorgt sein«, versicherte Darcy schroff.
Erst in diesem Augenblick schien Hardcastle Wickhams über einer Stuhllehne hängenden Mantel und die Ledertasche zu bemerken, die daneben auf dem Boden stand. »Ist das alles, was sich an Gepäck in der Kutsche befand?«
»Abgesehen von einer Truhe, einer Hutschachtel und einer Tasche, die Mrs. Wickham gehören, befanden sich darin noch zwei weitere Taschen, eine mit GW und eine mit Captain Dennys Namen gekennzeichnet«, erklärte Darcy. »Da Pratt mir erzählt hatte, dass der Wagen gemietet war, um die beiden Herren zum King’s Arms in Lambton zu fahren, beließ ich die Taschen in der Kutsche, bis wir mit Captain Dennys Leiche zurückkehrten, und brachte sie dann ins Haus.«
»Sie müssen uns selbstverständlich ausgehändigt werden. Ich konfisziere das gesamte Gepäck mit Ausnahme von Mrs. Wickhams Truhe, Tasche und Hutschachtel. Und nun sehen wir einmal nach, was er alles bei sich hatte.«
Er ergriff den schweren Mantel und schüttelte ihn heftig aus. In einer der Pelerinen hatten sich trockene Blätter verfangen, die jetzt zu Boden schwebten, und Darcy sah, dass auch einige an den Ärmeln hafteten. Hardcastle gab Mason den Mantel zu halten und steckte die Hände tief in die Taschen. Aus der linken brachte er die üblichen kleinen Habseligkeiten zutage, die ein Reisender gewöhnlich mit sich führt: einen Bleistift, ein Notizbüchlein ohne Einträge, zwei Schneuztücher und eine Taschenflasche, in der, wie Hardcastle meinte, nachdem er den Verschluss abgeschraubt hatte, Whisky gewesen war. Der
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