Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
ekelte, wenn sie in ihr aufkamen. Sie war so kurz davor gewesen, sich in ihn zu verlieben. Hätte sie ihn geheiratet, wenn er nicht mittellos, sondern reich gewesen wäre? Nein, gewiss nicht – sie wusste jetzt, dass es nicht Liebe gewesen war, was sie damals empfunden hatte. Er, der Liebling von Meryton, der hübsche Neuankömmling, in den sich jedes Mädchen verguckte, hatte sie zu seiner Favoritin erkoren. Alles war nur aus Eitelkeit geschehen, sie hatten beide ein gefährliches Spiel gespielt. Sie hatte sich darauf eingelassen und, schlimmer noch, Jane von seiner Behauptung erzählt, Mr. Darcy sei niederträchtig, habe ihm alle Lebenschancen geraubt, ihre Freundschaft verraten und die ihm, Wickham, gegenüber bestehenden, von seinem Vater auferlegten Pflichten hartherzig vernachlässigt. Erst viel später war ihr bewusst geworden, wie unangemessen er gehandelt hatte, als er sich einer vergleichsweise fremden Frau auf diese Weise offenbarte.
Sie sah auf ihn hinunter und schämte sich wieder ihrer Unvernunft und ihrer Menschenkenntnis, auf die sie sich immer so viel eingebildet und die sich als so schlecht erwiesen hatte. Und doch blieb so etwas wie Mitleid bestehen, und dieses Gefühl machte den Gedanken an sein mögliches Ende unerträglich. Obwohl sie jetzt wusste, welch schlimmer Dinge er fähig war, konnte sie nicht glauben, dass er gemordet hatte. Wie immer die Sache ausgehen würde, durch die Heirat mit Lydia war er ein Teil der Familie geworden, ein Teil ihres Lebens, und ihre Heirat hatte ihn zu einem Teil von Darcys Leben gemacht. Und nun war jeder Gedanke an ihn von grauenhaften Vorstellungen beschmutzt: die johlende Menge, die beim Erscheinen des gefesselten Gefangenen verstummt, der hohe Galgen und die Schlinge. Sie hatte ihn aus ihrem Leben verbannen wollen, aber nicht so – lieber Gott, doch nicht so!
Drittes Buch
Die Polizei in Pemberley
1
A ls Sir Selwyns Kutsche und der Leichenwagen vor dem Portal von Pemberley vorfuhren, öffnete Stoughton sofort die Tür. Es dauerte eine Weile, bis einer der Knechte erschien, um Darcys Pferd in den Stall zu bringen. In dieser Zeit kamen Darcy und Stoughton in einem kurzen Gespräch überein, dass Sir Selwyns Kutsche und der Wagen von den Fenstern her weniger sichtbar wären, wenn man sie nicht in der Auffahrt beließ, sondern durch die Stallungen in den hinteren Hof fuhr, von wo aus Dennys Leiche rasch und hoffentlich unbemerkt fortgeschafft werden konnte. Elizabeth hatte es für angemessen gehalten, den späten und nicht sehr willkommenen Gast mit aller Förmlichkeit zu empfangen, doch Sir Selwyn ließ schnell durchblicken, dass er auf der Stelle mit der Arbeit beginnen wollte, und verweilte nur kurz, um die unvermeidliche Verbeugung zu absolvieren, Elizabeth ihren Knicks machen zu lassen und sich knapp für die späte Stunde seines Besuchs zu entschuldigen. Dann erklärte er, als Erstes Wickham sehen zu wollen, und zwar in Begleitung von Dr. Belcher und den beiden Polizisten, Hauptwachtmeister Brownrigg und Wachtmeister Mason.
Bingley und Alveston waren bei Wickham und öffneten auf Darcys Klopfen hin. Das Zimmer hätte auch als Wachstube dienen können. Es war schlicht und karg möbliert mit einem Einzelbett, das unter einem der hochgelegenen Fenster stand, einem Waschtisch, einem kleinen Kleiderschrank und zwei Holzstühlen. Man hatte zwei zusätzliche, etwas bequemere Stühle hineingetragen und zu beiden Seiten der Tür aufgestellt, um es denen, die Wickham in der Nacht bewachen würden, ein bisschen behaglich zu machen. Als Hardcastle eintrat, erhob sich Dr. McFee, der rechts vom Bett gesessen hatte. Alveston war Sir Selwyn einmal anlässlich eines Dinners in Highmarten vorgestellt worden, und natürlich kannte der Friedensrichter auch Dr. McFee. Er verbeugte sich kurz vor den beiden Herren, nickte ihnen zu und trat ans Bett. Alveston und Bingley verständigten sich mit einem Blick darüber, dass sie den Raum nun verlassen sollten, und taten es schweigend, während Darcy ein wenig abseits stehen blieb. Brownrigg und Mason bezogen beidseits der Tür Posten und starrten geradeaus, als wollten sie zeigen, dass das Zimmer und die Bewachung seines Bewohners jetzt ihrer Zuständigkeit unterlagen, auch wenn sie im Augenblick nicht in die Ermittlungen eingreifen durften.
Dr. Obadiah Belcher wurde vom Polizeidirektor oder vom Friedensrichter bei Ermittlungen als medizinischer Berater hinzugezogen und hatte sich, wenig erstaunlich bei einem Mann, der
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