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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Diez
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Belastung für euch?
     Legt ihr euch da nicht zu sehr fest? Was macht ihr, wenn ihr da nichtmehr wohnen wollt? Dann habt ihr diese Wohnung am Bein. Wollt ihr euer Leben so verplanen?«
    Ich verstand ihre Skepsis. Wohnungsbesitzer, das waren in ihrem Leben immer die anderen gewesen. Ihre Eltern, die so ihren
     Aufstieg festigten; ihre Freunde, die sich ein Haus am Stadtrand kauften und darin verschwanden; ihre Freunde, die sich eine
     Eigentumswohnung kauften und an allem sparten. Ich musste selbst erst verstehen, dass es nicht nur ein kalter Plan war, wenn
     ich jetzt eine Wohnung kaufte, sondern dass darin auch so etwas wie Poesie stecken konnte, ein Lebensentwurf wenigstens, Freiheit
     hätte sie gesagt. Meiner Mutter war Geld immer verdächtig gewesen, weil es für die falsche Politik stand, für die falsche
     Gesinnung und das falsche Leben. Darin war sie ein linkes Kind ihrer Zeit. Erst in den letzten Jahren erkannte sie, dass Geld
     auch eine Möglichkeit war, so zu leben, wie sie das wollte.
    Geld konnte aber auch eine bedrohliche, negative Wirkung auf sie haben, gerade in der Zeit, als es ihr schlechter ging und
     sie sich ausrechnete, wie lange ihre Ersparnisse reichen würden und für welche Art der Pflege. Wie lange sie sich also ihre
     Krankheit leisten konnte. Oder wie schnell sie sterben musste, damit ihr das noch mit Würde gelang.
    Ein erster Schock war der Brief, den ihr der Mann schickte, den sie einmal geliebt hatte. Er hatte ihr vor vielen Jahren Geld
     gegeben, und nun verlangte er es zurück, die Hälfte wenigstens, er brauchte es und wolltenicht sagen wofür. Meine Mutter dachte, dass er es für eine andere Frau wollte. Das war für sie eine doppelte Erschütterung,
     selbst wenn es nicht stimmen sollte. Es zeigte ihr, dass diese Liebe vorbei war, dass sie allein bleiben würde. Es zeigte
     ihr aber auch, wie krank sie war, weil sie das Geld mit der Zeit verrechnete, die ihr noch blieb.
    Sie gab ihm das Geld zurück, das war ihr Stolz. Aber die Angst blieb. Die Angst, die mit diesem Brief begonnen hatte. Die
     Angst, die sich steigerte, als sie einen anderen Brief bekam, dieses Mal von ihrer Krankenkasse, die auch Geld zurückforderte,
     viel Geld, wie es ihr schien. Die Angst, die sie begleitete an dem Tag, als ein Mann von der Krankenkasse zu ihr in die Wohnung
     kam, um zu sehen, wie schwach sie war und welche Pflegestufe sie bekommen sollte. Sie konnte nur mit Mühe allein aufstehen
     in dieser Zeit, aber das wollte sie diesem Mann nicht zeigen, der wie ein Einbrecher in ihrer Wohnung stand, der Vertrauen
     zerriss, das sagte sie später und weinte dabei fast. Es war erniedrigend für sie, sie musste herumlaufen und sich hinsetzen,
     sie musste ihren Namen sagen und das Datum, sie musste mit den Fingern zählen, eins, zwei, drei, sie nahm ihre Kraft zusammen
     und bekam deshalb nur die niedrigste Pflegestufe, was eine Frage der Bürokratie ist, von Würde und Selbstständigkeit, vor
     allem aber eine Frage des Geldes und damit, in ihren Augen, der Freiheit.
    Für sie war das alles wie ein Tauschhandel mit dem Jenseits. Als Vorstellung hat sie den Tod nichtgefürchtet, als Realität später schon. Aber weil ihr die Religion verschlossen war als Sinnstiftung, suchte sie in der Wirklichkeit
     etwas, an dem sie sich orientieren konnte. Und so war für sie das alles auf eine gewisse Weise miteinander verbunden, ihre
     Krankheit, das Geld, die neue Wohnung, die rosa Prinzessin.
    Sie drehte den Laptop so, dass sie die Fotos besser sehen konnte. »Und wo kommt das Kinderzimmer hin?«, fragte sie. Ich hatte
     noch nicht darüber nachgedacht.
    Sie schaute lange auf die Bilder, sagte wenig, sie ging durch die Wohnung in Gedanken, sie wollte sich alles merken, wie das
     Leben sein würde, wenn sie nicht mehr dabei war.

    Ich saß in der Sonne auf den Stufen vor dem Café und der Boden fühlte sich warm an, rau und brüchig. Es war Ende Juni und
     die Angst meiner Mutter machte täglich wildere Kurven.
    »Wie meinst du das, da stand ein Mann in deinem Garten?«
    »Mitten in der Nacht. Ich bin aufgewacht, weil der Bewegungsmelder anging. Dann bin ich aufgestanden. Und da habe ich ihn
     gesehen.«
    »Vor deinem Fenster?«
    »Er kam von der Terrasse der Nachbarn herüber und stand vor dem Fenster und hat mich direkt angeschaut.«
    »Und dann?«
    »Dann bin ich raus. Da war er weg. Dann ist der Nachbar gekommen, der hatte ihn auch gesehen.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, hast du

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