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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Diez
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da, und dann schaltet sich das auf DVD um. Ganz einfach. Und hier wieder,
     wenn du fernsehen willst.«
    »Ach das geht doch eh nicht.«
    »Doch, hier, schau.«
    »Wo?«
    »Du musst einfach hier –«
    »Du kennst dich doch gar nicht aus.«
    Sie schwang diesen Satz wie einen Peitschenhieb und mit letzter Kraft. So herrisch konnte sie jetzt sein, es schien mir manchmal,
     als würde sie es genießen, diesen Versuch, andere zu erniedrigen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie merkte, dass sich das gegen
     sie selbst wendete, weil sich die Einsamkeit um sie herum vergrößerte. Wenn sie in Verzweiflung versank, dann zeigte sie das
     jedenfalls nicht. Am Ende holte sie die Art ihrer Familieein, das Wesen der Hövelmanns, das sie nie gemocht hatte, über alles hinwegzuschweigen.
    Ende Februar war die Heizung ihrer Wohnung für ein paar Tage defekt, eine Woche später lag ein halber Meter Schnee im Garten,
     »kalte Sonne« schrieb sie am 12. März in ihren Kalender, »kalte Sonne« am 13. März, »kalte Sonne« auch am 14. März. Die Behandlung
     mit Herceptin fiel ihr immer schwerer, sie war ständig müde, sie hatte Durchfall, ihr Mund tat ihr so weh, dass sie nichts
     mehr essen wollte. Im April gab es ein Problem mit dem »Port«, so hieß der Zugang, durch den das Herceptin in ihren Körper
     floss. Dieser Port hatte schon öfter geschmerzt, jetzt ertrug sie die Behandlung fast nicht mehr. »Entschdg« schrieb sie am
     20. April in ihren Kalender. Ich weiß nicht, was das für eine Entscheidung war, sie hat es nicht mit mir besprochen. Ich weiß
     überhaupt sehr wenig über diese Zeit.
    Ich wollte auch nicht mehr wissen. Ich ließ sie langsam von mir weggleiten. Ich hielt mich auf Distanz, ich arbeitete viel
     und war selten in München. Die Telefongespräche waren schwierig, weil sie nicht von der Krankheit erzählen wollte, dabei war
     es das Thema, das immer über allem schwebte. »Ich habe jetzt mal Essen auf Rädern ausprobiert«, sagte sie im Mai, »das ist
     ja schrecklich, da esse ich lieber nichts.«
    Es ging in unseren Gesprächen vor allem um die Frage, ob sie mit der Chemotherapie weitermachen würde, ob sie es noch schaffen
     würde mit ihren Kräften, wann Schluss wäre mit der Behandlung, weil es sie zu vielkostete, zu viel von dem, wie sie sich ihr Leben vorstellte. Im Mai fielen ihr zum ersten Mal Haare aus, vier Tage, nachdem
     sie das gemerkt hatte, ließ sie sich den Kopf rasieren und kaufte eine Perücke. Sie war froh, dass sie eine Freundin hatte,
     die sie ins Perückengeschäft begleitete. Als ich sie das erste Mal mit Glatze sah, dachte ich, dass sie einen schönen Kopf
     hat, einen runden, musikalischen Hinterkopf, das hatte sie mir immer gesagt, als ich ein Kind war, ein runder Hinterkopf ist
     musikalisch, daran musste ich denken, als sie vor mir saß, die Perücke lag neben ihr auf dem Tisch, eine kranke, alte Frau
     mit dem unsicheren Lächeln eines Kindes im Gesicht.
    »Es ist schwierig«, sagte sie an diesem Nachmittag, wir saßen auf der Terrasse und sie aß ein wenig Kuchen. »Aber ich glaube,
     ich habe das jetzt ganz gut organisiert. Es gibt genug Menschen, die mir helfen.«
    Es war Juni, ich hatte ihr ein Mittagessen gekocht, in der Küche lag frisches Obst, es roch süßlich, im Kühlschrank stapelten
     sich die Maultaschen, die eine Freundin eingekauft hatte. »Ich weiß, du hörst das nicht gern«, sagte sie, »aber ich will,
     dass du über alles genau Bescheid weißt.«
    Sie gab mir einen Umschlag, einen braunen Briefumschlag, auf den sie mit rotem Stift »Schorsch« geschrieben und den Namen
     dann mit vier Strichen eingerahmt hatte. In dem Umschlag steckten ihr Testament und eine Liste mit ihren Konten. Ich schaute
     in den Umschlag, weil ich wollte, dass sie sah, wie ernst ich das nahm. Es war auch eine Betreuungsverfügungdabei, die »alle Entscheidungen über lebensverlängernde Maßnahmen und zukünftigen Lebensschwerpunkt« betraf; eine Vollmacht,
     dass ich juristisch und auch sonst für meine Mutter entscheiden konnte, sollte sie »infolge eines Unfalls oder schwerer körperlicher
     oder psychischer Erkrankung zeitweise oder dauerhaft eingeschränkt sein«; und eine Patientenverfügung, in der meine Mutter
     festgelegt hatte: »Ich wünsche mir einen menschenwürdigen Tod und bitte meine Ärzte, mir dabei zu helfen. Ich bin mit einer
     ärztlichen Therapie einverstanden, die mein Leiden und meine Schmerzen lindert, und spreche mich eindeutig und ausdrücklich
     für

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