Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Diez
Vom Netzwerk:
Arena – es ist ein Müllberg, der nicht nur
     seinen Gestank verloren hat, sondern auch einen Teil seiner Geschichte.«
    »Warum linksliberal?«, fragte mich meine Mutter am Telefon. »Das klingt ja fast schon so, als ob ich die FDP wähle.«
    Und das wäre wohl das Schlimmste gewesen. Sie, die jahrelang einen kanaldeckelgroßen Aufkleber mit einer Friedenstaube auf
     ihrem VW-Bus gehabt hatte und der es egal war, dass immer mal wieder jemand die Radioantenne deshalb abbrach. Die so oft zu
     den Ostermärschen gefahren war, um gegen die Atomraketen und die Nachrüstung und den Krieg überhaupt zu demonstrieren, und
     der es nichts ausgemacht hatte, dass ich nur einmal mit dabei war, ich fand es schrecklich, in einer Menschenmenge herumzulaufen
     und von anderen angestarrt zu werden. Die später mal in der einen Oberföhringer Gaststätte war, um dem SPD-Ortsverein zuzuhören,
     und dann in der anderen, um sich den Ortsverein der Grünen anzusehen, bis sie sich entschied, dass sie vielleicht politisch
     war, aber nicht für dieses Gruppengerede geeignet.
    Wir stritten nicht über Politik, wir redeten kaum über Politik, ich weiß nicht mal genau, ob wir uns in den wesentlichen Dingen
     einig waren oder nicht. Ich fragte nicht und sie fragte nicht.
    So ging das weiter, so ging das bis zuletzt. Ich wusste, dass sie krank war; ich wusste nicht, wie lange es noch dauern würde.
     Es war ja schon so viele Jahre immer wieder gut gegangen.

    Ich lief die Straße entlang, die zurückführte in meine Kindheit. Ich war mit der Trambahn bis zum Effnerplatz gefahren, wo
     ich früher immer umsteigen musste, vom Bus Nummer 188 in die Trambahn Nummer 20 und umgekehrt, auf dem Weg in die Schule,
     auf dem Weg nach Hause. Ich hatte es damals gehasst, so weit draußen zu wohnen, am Rand der Stadt, so viel weiter draußen
     als alle meine Freunde, und jede Fahrt mit dem Bus und besonders jede Fahrt mit dem Fahrrad den steilen Berg von der Isar
     hinauf und dem Wind und dem Regen entgegen hatte mir das immer wieder neu bewiesen.
    Daran dachte ich, als ich ausstieg. Es war gut, dass diese Zeit so weit weg war. Ich schwitzte. Es war ein warmer Tag und
     ich ging schneller, als ich musste. Ich war zu spät dran, aber das war nicht schlimm.
    In der Mitte der Straße wuchs ein breiter Streifen Rasen, es war trockenes Gras. Mein Vater hatte mir einmal erzählt, dass
     bei uns im Viertel ein Kind getötet wurde, als es auf dem Mittelstreifen lief, ein Autofahrer verlor die Kontrolle und raste
     knapp an dem grünen Mast der Straßenlampe vorbei und riss das Kind mit. Ich stellte mir immer diese Straßenlampe und dieses
     Grün vor, das ganz stumpf war und ziemlich hell, fast wie Moos.
    Als ich jetzt auf dem Mittelstreifen ging, sah ich meinen Vater, wie er in seinem roten Citroën sitzt und das Lenkrad hält,
     und vielleicht hat er sogar die beige Schiebermütze auf, die er manchmal zum Autofahrenaufsetzte. Er hatte selbst einmal einen Jugendlichen angefahren, er lief einfach auf die Straße, siebzehn Jahre alt war er,
     mein Vater fuhr wie immer nicht sehr schnell, der Jugendliche hatte einen Schädelbasisbruch und überlebte.
    Das war genau hier, genau vor diesen Reihenhäusern am Effnerplatz, die in den dreißiger Jahren gebaut wurden, mit den kleinen
     Fenstern, schmal und bunt waren sie und mit spitzen Dächern, die dem Verkehr trotzten, der um sie herumbrauste. Es waren drei
     Spuren, die aus der Stadt hinausführten, in Richtung Norden und mitten durch das Stadtviertel, wo die Kirche meines Vaters
     war und das Hochhaus, in dem meine Mutter und ich gewohnt hatten. Dann wendete sich die Straße in einem weiten Bogen nach
     links und über die Isar und am Rand des Englischen Gartens entlang zur Autobahn. Hinten, am Horizont, wuchsen die Schornsteine
     des Heizkraftwerkes von Unterföhring in den Himmel, irgendwie tröstlich, irgendwie tödlich.
    Auf der rechten Seite der Effnerstraße stand das Altersheim, das grau und müde aussah und vor ein paar Jahren geschlossen
     wurde, weil niemand mehr in so einem Heim wohnen wollte mit Zimmern, die zu eng waren, und Methoden, die nicht mehr in die
     Zeit passten. Der Rasen davor war nicht gemäht, die Einfahrt lag verloren da. Mein Vater hatte dort früher manchmal Gottesdienste
     gehalten; jetzt umgrenzte ein Metallzaun das Gelände, wenn das Altersheim erst einmal abgerissen war, sollte hier, das war
     der neue Name, das war dieneue Zeit, eine Seniorenresidenz gebaut werden. Aber es gab wohl

Weitere Kostenlose Bücher