Der Tod meiner Mutter
Grabsteinen gingen, nach links hinten, der Weg machte eine Kurve, die grauen Büsche, der graue Kies, ein Wasserhahn, eine
Gießkanne, Gras, da war das Loch. Der Mann setzte die Urne ab und stellte sie an den Rand des Lochs. Ich sah eine Hummel,
die dick und träge um das Loch kreiste.
Wieder wartete er, dann nahm er die Urne und setzte sie vorsichtig in das Loch. Er fragte mich, ob ich Erde in das Loch schütten
wollte, und ich sagte »nein«. Also schüttete er die Erde in das Loch und klopfte sie fest, sehr schwarz war dieses Loch neben
dem Gras, das schon grün war. Ich hatte nicht geweint, weil der Mann neben mir stand, und als er gegangen war, da weinte ich,
bis ich meinen Stift aus der Tasche zog und mir aufschrieb, dass ich weinte, und da hörte ich auf zu weinen.
Ich wartete ein wenig, ob die Traurigkeit wiederkäme. Neben dem Loch, das nun kein Loch mehr war, lag der Grabstein, den ich
für meine Mutter ausgesuchthatte, ein runder roter Stein mit einem Sprung und einer kleinen Metallplatte in der Mitte. »Hannelore Diez« stand da, »31.10.1935–3.12.2006«.
Der Stein wirkte höher, als ich es erwartet hatte. Nach einer Weile kamen die beiden Männer von der Firma, die für das Grab
zuständig war. Sie hatten einen kleinen Kran dabei, und einer von ihnen hatte einen sehr dicken Bauch und einen Bart wie ein
Prophet oder wie ein Hardrock-Musiker. Sie schoben den Grabstein an die richtige Stelle, kontrollierten noch einmal mit der
Wasserwaage, ob er auch gerade saß, dann verabschiedeten sie sich, die Rosen würden später gepflanzt, der eine fuhr den Kran
und der andere lief hinterher.
Langsam setzte die Dauer ein. Der Wind wurde stärker. Am Himmel waren ein paar fahrige Wolken. Föhn, würde ich sagen. Das
ist kein Föhn, würde meine Mutter sagen, etwas genervt.
Die Männer hatten den Stein gewaschen, nun trocknete das Wasser langsam in der warmen Sonne. Die Buchstaben auf der Metallplatte
wurden heller, als sie trockneten, erst das A, dann das D und das E, das H.
Ich nahm meine Tasche.
Die erste Ameise lief über den Stein.
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Danksagung
Ich danke Helge für das Vertrauen, Albert und Maxim für Inspiration und Rat, Hania und Jörg für die Hilfe und Corinna für
all das, was man nicht mit Worten fassen kann.
Georg Diez , Jahrgang 1969, ist Journalist und lebt mit seiner Familie in Berlin. Er hat für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung , den Spiegel und Die Zeit geschrieben und ist heute Autor der Süddeutschen Zeitung .
Georg Diez
Der Tod meiner Mutter
ISBN: 978-3-462-04142-2
Euro (D) 16.95 | sFr 29.90 | Euro (A) 17.50
Die Mutter stirbt. Der Sohn erzählt. Ein bewegendes Buch über das Leben, zu dem auch der Tod gehört.
Georg Diez, Autor der Süddeutschen Zeitung, berichtet mit atemberaubender Genauigkeit vom Sterben seiner Mutter, ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Würde und seinem eigenen Umgang mit dem Unausweichlichen.
Wenn das Sterben und der Tod ins Leben eines Menschen treten, ist die Reaktion oft Schweigen und Sprachlosigkeit. Für den unwiederbringlichen Abschied eines geliebten Menschen fehlen uns die Worte, die das Leiden und den Schmerz angemessen fassen. Der Autor und Journalist Georg Diez aber hat nach dem Krebstod seiner Mutter den Mut zu erzählen, wie sich ein solcher langer Abschied vollzieht. Mit größter Genauigkeit und Schonungslosigkeit beschreibt er, wie er als Sohn den Tod in sein Leben hereinlassen musste, während er zugleich seine Hochzeit feierte und darauf wartete, zum ersten Mal Vater zu werden. Mit liebevollem, aber präzisem Blick begleitet er den langen Weg einer Frau, deren Leben vom Kampf um Selbstständigkeit und von leidenschaftlichem sozialen und beruflichen Engagement geprägt war, bis in die Einsamkeit der Krankheit und der Schmerzen. Die langsamen Verschiebungen in den Beziehungen zu Freunden und Kollegen, die letzten Reisen, die letzten Spaziergänge, die letzten Feste, die vielen kleinen und großen Abschiede, die wiederkehrenden Hoffnungen, die praktischen Nöte bei der Organisation des Alltags: All das schildert Georg Diez so intensiv wie die Erschütterungen, die das Sterben seiner Mutter für sein eigenes Leben bedeuten.
So ist ein Buch entstanden, das im Angesicht des Todes auch das Porträt zweier Generationen auf eine ganz neue Weise zeichnet: die Generation, die von den Befreiungsideen von 68 geprägt war, und ihre Adidas-Kinder, die in der Zeit des Wohlstands und der Sorglosigkeit
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