Der Tod meiner Schwester
Isabel gegenüber zwischen den Blaubeerbüschen sitzen sah – nicht weit von der Stelle, wo sie vielleicht gezeugt worden war. Sie weinte sich die Augen aus dem Kopf. Ich ging über die Straße und setzte mich neben sie. Ich versuchte, sie in meine Arme zu ziehen, doch sie versteifte sich bei meiner Berührung.
“Sag mir, dass es nicht wahr ist”, bettelte sie. “Sag mir, dass Ned nicht mein Bruder ist.”
“Ich glaube nicht, dass er es ist”, sagte ich. “Doch es stimmt, dass er es sein könnte.”
“Oh Gott.” Sie stand auf, von Weinkrämpfen geschüttelt. Dann beugte sie sich hinunter, nahm eine Hand voll Sand und warf ihn mir direkt ins Gesicht. Ich blinzelte. Der Sand brannte in meinen Augen, und ich schlug die Hände vors Gesicht. Der Schmerz brachte mich fast zum Weinen.
“Ich meine es ernst, Mutter”, erklärte sie von irgendwo da oben. “Wenn Daddy am Wochenende kommt, werde ich ihm alles sagen. Ich werde ihm sagen, dass er eine Hure zur Frau hat. Ich kann es kaum erwarten. Ich hoffe, er lässt sich scheiden von dir.”
Es dauerte mehrere Minuten, bis ich meine Augen wieder so weit öffnen konnte, dass ich es zurück zum Bungalow schaffte. Dort angekommen, verbrachte ich eine halbe Stunde im Badezimmer, um den Sand aus den Augen zu spülen. Ich wusste, dass ich Charles die Wahrheit sagen musste, bevor Isabel es tun würde. Doch wie sich herausstellte, bekam keine von uns die Gelegenheit dazu.
“Izzy hat die Nachricht an Mr. Chapman geschrieben”, sagte Julie, als ich meine Erzählung beendet hatte.
Ich nickte. “Das ergibt am ehesten Sinn. Ich weiß nicht, wie oder warum sie in deiner … deiner Brotbüchse landete, doch dies –” Ich hob den Zettel. “Ich bin sicher, dass diese Nachricht an Ross gerichtet war.”
46. KAPITEL
J ulie
Auf dem Parkplatz der Seniorenresidenz seines Vaters in Lakewood wartete ich auf Ethan. Ich war gegen Sonnenuntergang angekommen und ließ nun die Fenster hinunter, damit die warme Brise durch meinen Wagen zog. Ich hielt die Augen auf den Eingang des Parkplatzes gerichtet, wo ich Ethans Pick-up erwartete.
Ein langer und schwerer Tag lag hinter mir, der mit der Entdeckung der Überreste von Shannons Party begonnen hatte. Während ich bei meiner Mutter war, hatten Shannon und Tanner hart geschuftet, um alle Spuren zu beseitigen. Tanner hatte sich zerknirscht gegeben, doch meine Meinung von ihm war ziemlich gesunken, und es würde ihn Mühe kosten, das wieder wettzumachen.
Nachdem ich von Mom nach Hause gefahren war, strahlte dort alles blitzsauber. Shannon und Tanner waren fort. Ich war froh darum, weil ich noch immer an den Enthüllungen meiner Mutter über ihre Beziehung mit Ross Chapman zu knabbern hatte. Ich war nicht sicher, wer meine Schwester umgebracht hatte, doch ich wusste jetzt, dass ich – wenn überhaupt – wenig damit zu tun gehabt hatte. Die Worte meiner Mutter hatten mich von dem Schuldgefühl befreit, das seit einundvierzig Jahren auf mir lastete. Isabel war nicht wegen mir gestorben. Ich war nicht viel mehr gewesen als eine Sackgasse in einem Labyrinth. Mein Schuldgefühl war einem tiefen Mitgefühl für meine Mutter gewichen, die die ganze Zeit mit ihren Dämonen hatte leben müssen.
Ich setzte mich in mein fleckenloses Wohnzimmer und hielt das Telefon einige Minuten im Schoß, bevor ich den Mut aufbrachte, Ethan anzurufen. Ich erzählte ihm von dem Gespräch mit meiner Mutter, wobei ich mich um vorsichtige Formulierungen bemühte. Ich ließ den einmaligen außerehelichen Verkehr mit Ross Chapman so klingen, als hätte er in gegenseitigem Einvernehmen stattgefunden. Vielleicht hatte er das ja auch. Wer wusste schon, wie meine Mutter das Geschehene in den letzten sechzig Jahren gedreht und gewendet hatte, um ihr Gewissen zu beschwichtigen? Ich wollte Ethan nicht mehr verletzen, als es nötig war.
Es wurde so still am anderen Ende, dass ich dachte, er hätte aufgelegt.
“Meine Eltern führten doch eine so gute Ehe”, meinte er schließlich.
“Das haben sie vermutlich auch”, beruhigte ich ihn. Es tat mir leid, seine Welt erschüttern zu müssen. “Ebenso wie meine Eltern. Was zwischen deinem Vater und meiner Mutter war, geschah sehr früh in ihrer Ehe. Sie waren jung … vielleicht mussten sie sich erst noch daran gewöhnen, verheiratet zu sein.”
“Also”, sagte Ethan langsam, “wenn die Nachricht an meinen Vater gerichtet war, erklärt das noch immer nicht, wie sie in deiner Brotbüchse landete.”
“Ich
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