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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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zurück und kratzte sich die Stirn. „Hatte ich dir die Sache mit Gott nicht schon einmal erklärt? Wie auch immer, ich habe eine Aufgabe, und die erledige ich, so gut ich kann. Es liegt nicht in meiner Entscheidungsgewalt, wer stirbt oder wann er das tut. Du kannst mir dafür die Schuld geben oder es lassen. Aber ich schätze, du brauchst noch etwas Zeit, um das zu verstehen.“
    „Was soll das heißen?“
    „Ich werde dich für einige Zeit nicht mehr besuchen. Ein paar Jahre vielleicht. Wir werden sehen.“
    „Was?“
    „Glaube mir, es ist besser so. Soviel ich mitbekommen habe, hast du diesem Hirndoktor erzählt, dass du Gerrit vor mir retten wolltest.“
    „Ja“, sagte ich.
    „Das war nicht unbedingt die schlaueste Entscheidung, oder? Er hätte dich deswegen auch als verrückt einstufen können.“
    „Aber es war die Wahrheit!“
    „Die Wahrheit liegt immer ein wenig im Auge des Betrachters. Wie auch immer, ich denke, dass du noch nicht wirklich bereit bist. Jedenfalls ist es vermutlich besser, wenn du mich vorerst vergisst.“
    „Aber das will ich nicht!“
    Tod lächelte. „Als ich vorhin durch das Fenster trat, da hättest du doch am liebsten auf mich eingeprügelt, stimmt’s? Woher der Sinneswandel?“
    Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. „Ich will nicht noch einen Freund verlieren.“
    Tod stellte sich ganz nah vor mich hin. Wir schauten uns in die Augen, und mir war, als erblickte ich die Unendlichkeit in den seinen. „Wir werden uns wiedersehen. Das kann ich dir versprechen.“
    Daraufhin stand er auf, griff nach seinem Kescher und verschwand, wie er gekommen war. Ich saß noch immer auf meinem Bett, starrte ihm nach und fragte mich, wie genau ich seinen letzten Kommentar zu verstehen hatte.

Kapitel 6
    Die 80er Jahre zogen ins Land. Die Frisuren wurden bescheuerter, die Musik zum Teil unausstehlich und die Politik immer verrückter. Immerhin gab es im Kino etliche Lichtblicke, die mir meine Kindheit erträglicher machten, wie z.B. „Ghostbusters“, „Zurück in die Zukunft“ und mehr Teile von Reihen wie „Indiana Jones“ oder „Crocodile Dundee“. Hinzu kam die Einführung des Kabelfernsehens in Deutschland, was für mich als Stubenhocker bedeutete, dass man nicht nur die drei Programme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schauen konnte, sondern nun auch noch Privatsender. Deren Vorteil war, dass sie viele amerikanische Actionserien zeigten, die genau auf meiner Wellenlänge waren. Bei den anderen Jungs in der Schule galt es als cool, wenn man Serien wie „Airwolf“ oder „Knight Rider“ sehen konnte, besonders bei denen, die selber keinen Kabelanschluss hatten. Plötzlich waren einige Mitschüler in der Lage, darüber hinwegzusehen, dass ich etwas merkwürdig war, und kamen zu mir nach Hause, um fernzuschauen. Ich begann also wieder so etwas wie Freunde zu haben.
    Gerrits Tod rückte immer mehr in den Hintergrund und damit auch die Erinnerung an Tod selbst. Nach einiger Zeit war ich so weit, ihn nur noch als eine Art eingebildeten Freund von früher zu sehen. Ein eingebildeter Freund, der mir Schach beigebracht hatte, aber wer wundert sich schon über die Gedankengänge von Kindern? Das soll nicht heißen, dass es nicht Momente gab, wo ich glaubte, ihn tatsächlich zu sehen. Auf dem Weg in den Urlaub sah ich ein Fahrzeugwrack am Rand der Autobahn, und für einen Augenblick meinte ich, dort eine vertraute Figur hinter den Qualmwolken hervorlugen zu sehen. Ein anderes Mal hörte ich im Kino einen Mann in der letzten Reihe stark husten. Als ich mich umdrehte, hatte ich den Eindruck, als würde gerade ein dunkler Schatten in der Wand verschwinden. Ich dachte mir nichts weiter dabei, als der hustende Mann plötzlich ruhig wurde, so dass wir den Film ungestört zu Ende schauen konnten. So wurde es 1987, und ich fühlte mich in dieser Zeit wie ein normaler Junge mit Freunden, die nicht tagein, tagaus die Seelen Verstorbener holten. Dann wechselte ich nach der sechsten Klasse auf das Gymnasium.
    ***
    Als ich das erste Mal die Freiherr-vom-Stein-Schule betrat, weckte sie schon deshalb schlechte Erinnerungen in mir, weil sie wie das Krankenhaus, in dem meine Oma verstarb, ein Backsteinbau inmitten von dunklen Bäumen war. Es wurde auch nicht einfacher dadurch, dass dort ein strenges Regiment geführt wurde. Man könnte sagen, dass die Schule ihrem Namensgeber alle Ehre machte, handelte es sich bei Freiherr vom und zum Stein doch um einen preußischen Staatsmann.

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