Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
während sie sagt: „Das ist er, mein Held!“ Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich damals zu viele und vor allem zu viele schlechte Filme gesehen hatte.
Mein Heldentum ließ allerdings auf sich warten. Offenbar wollten wesentlich weniger Leute ertrinken, als ich ursprünglich angenommen hatte. Frank und Anja waren weiter glücklich, und ich sah meine Chancen bei ihr kleiner und kleiner werden.
Der Mangel an zu rettenden Personen wurde mehr als genug durch Einsätze relativ banaler Natur wettgemacht. Da die Station im Norden Spandaus an einem der frequentiertesten Strände der Stadt lag, hatten wir die meiste Arbeit mit Erste-Hilfe-Leistungen zu tun. Irgendwer trat immer mal in eine Scherbe oder stellte sich sonst irgendwie dämlich an. Oft war ein Sanitäter vom Arbeiter Samariter Bund, kurz ASB, anwesend, der sich um die Verletzten kümmerte, aber manchmal eben auch nicht, dann mussten wir selber ran. In der Bucht gab es außerdem eine Sandbank, auf der sich Segler gerne mal festfuhren. Wir schleppten sie mit unserem Boot, bis sie sich befreien und aus eigener Kraft davonmachen konnten. Gleich danach kam in der Statistik wohl Hilfe bei gekenterten Seglern.
Waren wir nicht mit dem Boot draußen oder schoben gerade Dienst auf dem Wachturm, dann wurde hauptsächlich geputzt, irgendwas repariert oder Karten gespielt. Oder Blödsinn gemacht. Wirklich ruhig war es eigentlich nie. Im Grunde war es ein wenig wie unser aller Garten samt Häuschen, wo wir Spaß haben konnten, nur dass wir eben zwischendurch noch anderen Leuten halfen. Nur „Personen im Wasser“ hatten wir so gut wie nie und wenn, handelte es sich nur um Übungen.
Eine „Person im Wasser“ oder kurz „PiW“, was man wie „Piff“ ausspricht, ist der Fall, den man am ehesten mit der Organisation in Verbindung bringt und auf den ich, dummer- und verliebterweise, hoffte: Jemand droht zu ertrinken. In meinem ersten Jahr wurde genau zwei Mal eine PiW über Funk ausgerufen. Beim ersten Mal handelte es sich um einen Fehlalarm, bei dem die Person, von der vermutet wurde, dass sie irgendwo auf dem Niederneuendorfer See untergegangen war, recht bald an Land gefunden wurde. Ich schäme mich etwas darüber, enttäuscht gewesen zu sein, dass mein Heldenmoment wieder auf sich warten ließ. Das Interessanteste an dieser falschen PiW war für mich, wie wir mit dem Boot idiotische Kurven fahren mussten, um nicht auf DDR-Gebiet zu geraten. Die wachsamen Grenzer auf ihren Schnellbooten waren gar nicht amüsiert, wenn der Klassenfeind in ihren Hoheitsbereich eindrang. Beim zweiten Mal handelte es sich um eine Übung, bei der ich zumindest mitbekam, wie es bei einer richtigen PiW ablaufen würde. Das Ganze wurde direkt am anderen Ufer in Konradshöhe abgehalten, also praktisch direkt vor unserer Haustür, weswegen wir nicht mal eine längere Strecke mit dem Boot rasen konnten. Die anderen Stationen der DLRG an der Oberhavel hatten weitere Wege und insofern mehr Spaß bei der Anfahrt. Dummerweise war recht schnell klar, dass es sich um eine Übung handelte, nachdem unser Bootsführer einen Kameraden der Zentralstation mit Videokamera am Ufer bemerkt hatte. Von Zeit zu Zeit hielten es die beleibteren Herren der alten Garde für notwendig, dass große Einsätze geprobt werden müssten. Das war auch so in Ordnung, nur widerstrebte es uns jüngeren Rettungsschwimmern immer, dass wir ins Wasser mussten und die nicht. An einem heißen Sommertag machte es kaum jemandem etwas aus. Wenn es in Strippen regnete, saßen wir natürlich lieber in der trockenen Station. Trotzdem zogen wir die Übung durch, zu der es unter anderem gehörte, eine sogenannte Taucherkette zu bilden.
Eine Taucherkette ist eine oder zwei Reihen von Schwimmern, nicht Tauchern, die systematisch ein Gebiet durchsuchen. Sie tauchen gleichzeitig gerade herunter auf den Grund des Gewässers, schwimmen dort eine vorher definierte Anzahl von Flossenschlägen und suchen dabei mit den Armen den Grund ab. Anschließend wird wieder senkrecht aufgetaucht und sich ausgerichtet, was im Grunde nur heißt, dass man auf die Höhe der Person zurückschwimmt, die am weitesten hinten geblieben ist. So soll vermieden werden, dass manche Stellen nicht oder nur ungenügend abgesucht werden. Man ist wirklich darauf angewiesen, mit den Händen den Boden durchzuwühlen, da man in der Havel mit der Nase gegen die Titanic stoßen könnte, weil die Sicht keinen Meter reicht. Abgesehen davon, wird bei einer Taucherkette so viel
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