Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
hereingebracht. Dem Blut an Kopf und Armen nach zu urteilen, hatte sie gerade einen Autounfall hinter sich. Sie verschwanden in der Notaufnahme, und ich blickte ihnen hinterher, als mich jemand am T-Shirt zupfte.
„Hallo!“, sagte ein kleines Mädchen neben mir, nachdem ich mich umgedreht hatte.
„Hallo, Kleine“, sagte ich und stutzte. „Moment mal, ich kenne dich doch.“
„Na klar, ich bin Bibi“, sagte die Kleine und lächelte.
„Du meine Güte. Ich habe dich doch genau hier schon einmal getroffen.“ Sie nickte nur. „Aber, aber … du hast dich seitdem gar nicht verändert.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ach, ich habe mich schon gaaaaaanz lange nicht verändert.“
Ich konnte nicht umhin, sie anzustarren. Ich erinnerte mich an ihre Pirouetten vor ein paar Jahren, und nun war sie mir etwas unheimlich, da sie noch genauso aussah wie damals.
„Wer bist du? Was bist du?“
„Du bist wirklich nicht der Hellste, was?“, sagte die tiefe Stimme von Tod, der neben sie getreten war. Bibi schaute zu ihm hoch und verzog ihr Gesicht.
„Geh weg, du bist doof“, sagte sie.
„Charmant wie immer“, erwiderte Tod. „Hast du da drin nicht etwas zu tun?“ Er zeigte mit dem Finger auf den Eingang zur Notaufnahme.
„Du machst es doch eh gleich wieder kaputt“, sagte Bibi schmollend.
„Als ob ich etwas dafürkönnte. Ich habe mir das doch auch nicht ausgesucht.“ Tod schüttelte den Kopf.
„Hast du wohl, und jetzt willst du plötzlich nicht mehr.“
„Von plötzlich kann gar keine Rede sein.“
Bibi drehte sich wieder zu mir. „Hör nicht auf den, der macht nur böse Sachen. Ich muss jetzt aber gehen.“
Sie lächelte mich an und verschwand durch die geschlossene Tür direkt vor mir. Ich verstand nur noch Bahnhof. Tod musterte mich. Er schien fast genervt von meinem Unverständnis der Lage.
„Wer zum Teufel …“, sagte ich, bevor Thanatos mich unterbrach.
„Du meine Güte. Ist das denn so schwer? Was könnte ich wohl kaputtmachen? Was ist meine Aufgabe?“
„Du bist der verdammte Tod.“
„Genau. Der verdammte Tod. Und sie ist das verdammte Gegenteil.“
„Sie ist das Leben?“
„Hat ja lange genug gedauert“, sagte Tod. „Ich muss jetzt auch da rein. Du wirst ja ansonsten gleich wieder in Tränen ausbrechen, dass du mich nicht sehen willst und so weiter und so fort.“
„Die Frau, die dort eben hereingefahren wurde.“
„Ja, die war schwanger“, sagte Tod.
„Das Kind.“
„Genau darum geht es. Und bevor du auf die Idee kommen solltest, jetzt dort reinzurennen und den Helden spielen zu wollen … du hättest das Kind höchstens retten können, wenn du den Autounfall verhindert hättest. Der ist aber bereits etliche Minuten her.“
„Aber warum ein Kind?“
„Warum überhaupt irgendwer?“
„Aber das Kind kommt gerade erst auf die Welt. Es hat noch gar nichts getan oder erlebt.“
Tod seufzte. „Weißt du, ich glaube, dass so etwas passiert, damit irgendwer aus diesem Ganzen eine Lehre zieht. Ich hab nur leider überhaupt keine Ahnung, wer das sein könnte. Mir gefällt es genauso wenig wie dir oder der Kleinen, dass ich ein Baby holen muss, aber was bleibt mir übrig?“
„Du könntest Bibi ihre Arbeit machen lassen.“
„Lasse ich doch. Deswegen ist sie ja da. Und ich komme kurz darauf und mache meine Arbeit.“
„Du weißt, was ich meine“, erwiderte ich.
„Es ist nicht meine Entscheidung, wer am Leben bleibt“, sagte Thanatos und ging zur Tür. „War nett, wieder einmal mit dir zu plaudern.“
Nachdem er in der Tür verschwunden war, ging ich wieder zurück ins Wartezimmer, wo mein Vater fragte, was denn dort los gewesen sei. Ich erklärte ihm, dass die Mutter ihr Kind verloren hatte.
„Und woher willst du das wissen? Die Tür war doch zu.“
„Nur so ein Gefühl“, sagte ich und reichte ihm den Kaffee. Wir schwiegen, bis wir endlich an der Reihe waren.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es mir erspart geblieben wäre in der Notaufnahme auf Simone zu stoßen, aber leider passierte genau das. Als sie mich sah, verzog sich ihr Gesicht, als hätte sie einen Schlaganfall. Gerade als ein Schwall an Kraftausdrücken aus ihrem Mund zu fließen drohte, unterbrach ich sie und nahm sie beiseite.
„Bevor du jetzt irgendwas sagst … ich weiß, du bist sauer auf mich, aber bitte stell das alles mal hintan und kümmere dich um meinen Vater. Ich vermute, er hat mit einem Divertikel zu kämpfen, und das Drama können wir uns jetzt allen
Weitere Kostenlose Bücher