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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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Rätseln. Wenn du nicht Anja meinst …“
    „Deine Eltern, du Trottel.“
    „Was?!“
    „Ein sehr menschlicher Zug zu denken, dass die eigenen Eltern immer für einen da sind. Gar unsterblich. Fakt ist jedoch, dass sie weit davon entfernt sind.“
    „Was zum Teufel hast du vor?“
    „Was ich vorhabe? Frage dich lieber, was du vorhast. Ich will dich lediglich darauf aufmerksam machen, dass du nicht alle retten kannst. Vor allem nicht für immer. Und wenn das passiert, wird es dich auffressen. Du darfst es aber nicht an dich heranlassen.“
    „Ist das eine Scheiß-Drohung oder was?“
    „Hör mir doch zu. Ich drohe dir nicht. Ich gebe dir nur etwas zu bedenken.“
    „Wenn meiner Familie irgendwas passiert …“
    „Was dann? Hm?“
    Ich stand wieder auf, und Tod tat es mir gleich. Meine Faust war geballt, aber ich wusste, dass ich ihm nichts anhaben könnte.
    „Martin, versteh doch, ich will dir nichts Böses, ich will nur …“ Thanatos sah fast ehrlich aus, aber er hatte mir so viel Anlass zum Grübeln gegeben, dass mein Gehirn offenbar beschlossen hatte zu streiken. Ich schaute ihn ein letztes Mal an, und dieses eine Mal war ich es, der vor seinen Augen verschwand.

Kapitel 36
    Das nächste halbe Jahr verbrachte ich damit, meine Eltern davon zu überzeugen, sich einer Vorsorgeuntersuchung zu unterziehen. Sie widersetzten sich beide recht beharrlich, aber letztendlich willigten sie ein.
    Nachdem ich ganz bewusst die Visionen der Tode meiner Eltern zugelassen hatte, war ich beunruhigt. Sicher, beide sahen in meinen Visionen älter aus, aber zumindest mein Vater kam mir darin für meinen Geschmack viel zu jung vor. Als die Ergebnisse der Untersuchungen endlich zurückkamen, war ich schon ein wenig beruhigt. Es gab keine auffälligen Befunde. Der Arzt meines Vaters meinte nur, dass er etwas abnehmen müsse, aber der kommentierte das lediglich mit „Kein Scheiß, Sherlock“, ging nach Hause und belegte sich sein Brot wie gehabt mit der Hälfte des Kühlschrankinhalts. Ich versuchte noch ein paarmal, ihn zum Abnehmen zu überreden, biss aber auf Granit. Die Vision hatte bei mir nicht den Eindruck hinterlassen, der Tod meines Vaters hätte etwas mit seinem Gewicht zu tun, also ließ ich ihn irgendwann in Ruhe.
    Tod war mir von Zeit zu Zeit über den Weg gelaufen und hatte auch stets versucht, mir ein Gespräch aufzudrängen, aber ich ignorierte ihn, so gut es ging. Von Mal zu Mal schien er wütender zu werden. Er versuchte sogar, Reaktionen von mir zu forcieren, indem er mich erschreckte oder einfach nur drauflos erzählte. Als er merkte, dass ihm dies auch nichts nützte, ließ er sich nicht mehr blicken. Zumindest wenn es vermeidbar war. Während meiner weiteren Famulaturen hatte ich noch ein paar Male unfreiwillig mit ihm zu tun. Mal gewann ich, mal gewann er.
    Mit Simone hatte ich nach dem Vorfall bei ihr daheim nicht mehr gesprochen, was mir eine ganze Zeit im Hinterkopf herumspukte. Letztlich hatte ich sie aber als verlorene Freundschaft abgehakt und war froh, Anja keine Erklärungen abgeben zu müssen, denn dafür lief es viel zu gut mit ihr. Anfangs befürchtete ich, dass ich ihr irgendwann nicht mehr genügen würde, schließlich war ich nicht wie ihr erster Freund Frank. Andererseits war das natürlich von Vorteil, denn immerhin betrog ich sie nicht.
    Anja steckte im letzten Jahr ihres Studiums, während das Ende von meinem noch gar nicht abzusehen war. Der Druck und die Masse an zu bewältigendem Stoff waren nervenaufreibend. Das Gros des Stoffes war theoretischer Natur, was mich manchmal fragen ließ, ob und wann ich überhaupt etwas Praktisches lernen würde. Pathologie war fast das einzige „handgreifliche“ Fach. Man hatte es mit Leichen zu tun, deren Armsehnen man gerne mal dazu brachte, den Stinkefinger zu zeigen. Im Rückblick scheint es vielleicht etwas sonderbar zu sein, dass man mit den toten Körpern den meisten Spaß hatte. In Mikrobiologie züchtete ich Bakterien auf Schafsblutagar und lernte, den süßlichen Geruch von Pseudomonas-Kolonien nicht zu vergessen. Letzteres half mir sogar bei einer weiteren Famulatur, als bei einem Patienten mit Beckenfraktur an der Naht plötzlich grünblauer Eiter auftrat, zusammen mit diesem typischen Duft. Überhaupt machte ich nur noch in meinen weiteren Famulaturen praktische Erfahrungen, die ich aber wohlweislich nicht mehr im Waldkrankenhaus absolvierte, um nicht Simone über den Weg zu laufen.
    Anja schaffte es in all der Zeit, in der sie

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