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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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ersparen.“
    Sie schien sich wieder zu beruhigen. „Also schön, wie du meinst. Aber ich will dich während der Untersuchung hier nicht sehen, also verpiss dich ins Wartezimmer.“ Sie ging hinüber zu meinem Vater, gab ihm die Hand und sagte: „Hallo, ich bin Simone. Freut mich, Sie kennenzulernen.“
    „Hallo“, erwiderte mein Vater und wandte sich zu mir. „Irgendwann musst du mir mal erklären, was da gerade abgelaufen ist.“
    „Ach, das kann ich ja gleich machen“, sprach Simone und lächelte dabei so breit, dass es mir eiskalt den Rücken runterlief.
    „Mir wäre es wirklich lieber, wenn du dich auf die Untersuchung …“, sagte ich, aber ich kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.
    „Wartezimmer“, sagte Simone und machte eine „Husch, husch!“-Handbewegung. Also tat ich, wie mir befohlen.
    Meine Vermutung darüber, was mein Vater für ein Problem hatte, stellte sich relativ bald als richtig heraus. Nach einer Röntgenaufnahme des Bauches und einer Ultraschalluntersuchung deutete alles auf Divertikel hin. Mein Vater wurde aufgenommen, und die Diagnose sollte am nächsten Tag durch eine Darmspiegelung bestätigt werden. Mein Vater war ganz und gar nicht begeistert, dass er im Krankenhaus bleiben sollte, und murrte.
    „Darmspiegelung? Das ist doch auch wieder für den Arsch.“
    „Quasi buchstäblich“, sagte ich.
    „Und was dann? Müssen die mich operieren oder was?“
    „Hoffentlich nicht. Sieht so aus, als wäre es ein halbwegs unkompliziertes Divertikel. Du kriegst ein paar Antibiotika und darfst wahrscheinlich zuerst nur Zeug wie Haferschleim essen, aber dann geht’s dir bald besser. So lange musst du überwacht werden.“
    „Klingt ja super.“
    „Sei froh. Wenn Sie dich operieren müssten, würdest du vermutlich vorübergehend einen künstlichen Darmausgang bekommen, und ein Stück des Dickdarms müsste entfernt werden.“
    „Ist ja gut. Ich freue mich, hier zu sein.“
    Ich grinste und drückte ihn zum Abschied. „Ich erkläre Mama, was Sache ist. Mach dir keinen Kopf, in ein paar Tagen bist du hier raus.“
    „Besser ist das. Hab nicht vor, im Krankenhaus zu verrecken.“
    In mir krampfte sich alles zusammen. Genau das war es, was ich in meiner Vision gesehen hatte.
    „Das wird schon nicht passieren“, sagte ich.
    „Und wegen dieser Simone …“, sagte mein Vater, „… also was die mir erzählt hat …“
    „Simone erzählt eine Menge, wenn der Tag lang ist. Ich glaube, die tickt nicht ganz richtig.“
    „Du meinst, die tickt nicht richtig, und lässt mich von der untersuchen?“
    „Okay, anders gesagt, ich glaube, sie ist eine phantastische Ärztin, aber sie hat einen geringen emotionalen Quotienten.“
    „Was ist das denn jetzt schon wieder für ein Fachchinesisch?“
    „Ich glaube, ihre soziale Kompetenz ist nicht sehr ausgeprägt, das ist alles.“
    „Mann, Junge, im Studium bringen die dir wirklich die sonderbarsten Floskeln bei. Red deutsch, Junge.“
    „Sie kann nicht so mit Leuten“, sagte ich schon leicht genervt.
    „Und dann arbeitet sie im Krankenhaus?“
    „Ist gut, Papa. Ich fahr noch schnell zu Hause vorbei und gebe Mama Bescheid.“
    „Hoffentlich gibt’s was im Fernsehen. Mir ist jetzt schon langweilig“, waren seine Abschiedsworte.

Kapitel 38
    Mein Vater blieb nur etwa eine Woche in der Klinik und löcherte mich mit Nachfragen zu allem, was Simone ihm erzählt hatte. Ich hatte Mühe, ihm klarzumachen, dass ich mit ihm über sexuelle Dinge eher ungern diskutierte, vor allem nicht in einem Krankenzimmer, wo sich noch andere Leute aufhielten. Es gab ein wenig Zoff, ein Wort gab das nächste, und wir sprachen zwei Wochen nicht miteinander. Das wiederum hatte zur Folge, dass Anja fragte, weshalb wir denn aneinandergeraten waren, wofür mir keine Erklärung einfiel. Zumindest keine, die ich ihr auch tatsächlich geben wollte. Also war ich am Ende der Idiot, der sich wieder entschuldigen durfte, obwohl ich eigentlich gar nichts falsch gemacht hatte. Ich kann nur annehmen, dass sich Simone sehr über das ganze Tohuwabohu gefreut hätte.
    Mit großen Schritten ging das Jahr zu Ende und damit das sogenannte Millennium. Der gleichnamige Song von Robbie Williams aus dem Jahr zuvor dudelte noch immer in den Radios, und in manchen Kreisen herrschte eine gewisse Hysterie darüber, ob zum Jahreswechsel alle Computer in die Luft fliegen und somit die Apokalypse einleiten würden. Dass die eigentliche Jahrhundertwende erst im darauffolgenden Jahr

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