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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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Komme mir ja heil wieder.“
    Ich rannte los. Sie rief mir hinterher. „Hey, ich liebe dich auch!“ Das beflügelte mich.
    Ich rannte hektisch die Straße entlang, und Leute strömten mir entgegen, die aus dem Unglücksgebiet zu entkommen versuchten. Aus meinem Rennen wurde recht schnell ein Schleichen, denn es wurde zunehmend mühsamer durchzukommen. Für eine Sekunde dachte ich darüber nach, einfach zum World Trade Center zu springen, aber da mir die Gegebenheiten dort zu unsicher waren, entschied ich mich lieber für die althergebrachte Art, um dorthin zu gelangen.
    Tod tauchte wieder neben mir auf und versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich ihm beim Einsammeln der Schmetterlinge helfen sollte.
    „Ich habe dir schon hundert Mal erklärt, was ich davon halte. Außerdem wirst du mit den paar Schmetterlingen doch fertig werden, oder?“, blökte ich ihm entgegen.
    „Wenn es nur so einfach wäre. Es wird aber noch erheblich schlimmer“, sagte Tod.
    „Was soll denn noch schlimmer werden?“, fragte ich.
    „Das wirst du bald erfahren“, sagte Tod.
    Ein einzelner Polizist versuchte die Straße abzuriegeln, was definitiv für einen nicht ganz so einfach war. Als er sah, dass ich, statt aus dem Gebiet wegzugehen, darauf zulief, versuchte er mich daran zu hindern. Ich brauchte geschlagene zehn Minuten, um ihm zu erklären, dass ich Arzt war. Er war trotzdem der Meinung, dass man auch ohne mich zurechtkommen würde. Am liebsten hätte ich ihm meine Faust aufs Kinn gesetzt, aber eines der widernatürlichsten Geräusche, welches ich je gehört habe, durchschnitt die Luft, als der erste Turm zerbarst und in einer Mischung aus Ächzen, Quietschen und Stöhnen zusammenbrach.
    Kurz darauf schoss eine apokalyptische Staubwolke durch die Straßen, welche die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen schien, da sie sich in alle Himmels- und Windrichtungen ausbreitete. Es gelang mir gerade noch, mein T-Shirt über die Nase zu ziehen, als der Staub über uns hinwegfegte. Minutenlang war ich nicht in der Lage, irgendetwas zu erkennen. Als sich die Sicht besserte, ging ich erneut zu dem Polizisten, der mich nur schockiert anstarrte und kein Wort hervorbrachte. Ich sagte ihm, dass ich jetzt helfen gehen würde, woraufhin er nur geistesabwesend nickte und mich vorbeiließ.
    Die Menschen sahen aus wie lebendige Geister. Grauer Staub lag auf ihnen, und das Licht brach unwirklich durch die Partikelschwaden, die weiterhin durch die Straßen zogen. Ich versuchte mich weiter vorzuarbeiten. Immer wieder traten mir Feuerwehrleute und Polizisten in den Weg, die mich davon abhielten. Im Nachhinein kann ich nur sagen: zum Glück.
    Als der zweite Turm einstürzte, brachte ich mich in einem Hauseingang in der Nähe in Sicherheit, wurde aber trotzdem von oben bis unten mit dem Staub der herabfallenden Überreste ehemaliger Büros und Fassadenteile eingedeckt. Während ich verzweifelt Schutz suchte, wurde mir klar, dass in dieser Staubwolke vermutlich auch Teile der Leute, die in den Twin Towers gearbeitet hatten, mitflogen. Ich war buchstäblich bedeckt von Staub, Asbest und menschlichen Spurenelementen.
    Die meistens Leute, denen ich an diesem Tag begegnete, sagten nur einen Satz, und den wiederholt: „Oh my god!“ Viele schauten in Schockstarre hoch zum Himmel, wo einmal die Türme über die Stadt ragten. Ich selbst brauchte auch einige Zeit, um nach Fassung zu ringen und mir zumindest mein Gesicht notdürftig sauber zu wischen. Die staubigen Leiber der Überlebenden in meiner Nähe schienen sich zu fragen, was sie nun tun sollten. Thanatos stand inmitten des Chaos und rief mir zu, dass ich ihm helfen solle. Sein Umhang war so schwarz wie eh und je. Nichts vom Geschehenen schien einen Einfluss auf ihn zu haben. Ich schaute ihn nur an und schüttelte den Kopf. Resigniert machte er sich davon. Dann sah ich es.
    Während sich die Staub- und Aschewolke langsam verzog, erhob sich eine schillernde Masse daraus hervor. Sie war schwarz und rot und gelb und bewegte sich wie von einem unsichtbaren Puppenspieler geführt. Tausende von Schmetterlingen wogten wie ein Fischschwarm in der Luft und gewannen an Höhe, um dann die lange Straße, an der ich stand, hinunterzustürzen und in Richtung Süden zu verschwinden. Ich spürte den Windhauch kleiner Flügel auf meinem Gesicht, aber so schnell, wie er sich formiert hatte, war der Schwarm auch an mir vorbeigerauscht.
    Ich schaute dem Gebilde hinterher. Hin und wieder tauchte eine dunkle Gestalt auf,

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