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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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aus.
    Ich duschte mich und stopfte alle meine Klamotten in eine große Tüte. Die Sachen wollte und konnte ich einfach niemals mehr anziehen. Dann gesellte ich mich zu Anja auf das Bett, die wieder auf CNN verfolgte, was es Neues gab. Während wir einander in den Armen lagen, fragte sie, was ich erlebt hatte.
    „Ich habe ein paar Feuerwehrleuten und Polizisten geholfen. Größtenteils einfache Erste Hilfe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich zumindest zweien das Leben retten konnte. Aber irgendwann konnte ich auch nicht mehr. Ich wollte weg, aber das öffentliche Nahverkehrsnetz ist komplett zusammengebrochen. Den größten Teil des Weges bin ich gelaufen. Erst in Jersey habe ich ein Taxi gefunden, was mich zumindest ein Stück mitgenommen hat. Der hat noch nicht mal Geld verlangt. Und wie bist du hierhergekommen?“
    „Die Fähren haben einen ganzen Schwung von Leuten nach New Jersey gebracht. Von dort aus habe ich mich dann per Anhalter durchgeschlagen.“
    Im Fernseher liefen die Bilder vom Einschlag der Flugzeuge und dem Moment, in dem die Türme zusammenstürzten. Immer und immer wieder. Außerdem erfuhren wir von den anderen Flugzeugen, die ebenfalls entführt wurden.
    Ich schlief irgendwann völlig erschöpft ein und wachte erst am Nachmittag wieder auf. Anja hatte die Geistesgegenwart besessen, unsere Eltern anzurufen, während ich schlief. Sie waren außer sich vor Sorge, und sicherlich half ihr Anruf dabei, die Gemüter zu beruhigen. Sie wollten, dass wir schnellstmöglich nach Hause kommen, aber für die nächsten Tage waren überall die Flughäfen gesperrt. Wir hatten Glück und kamen wie geplant am Wochenende weg, aber es herrschte ein einziges Chaos, bevor wir endlich im Flugzeug und auf dem Weg zurück waren.
    Die Gesichter der Leute sprachen Bände. Einige waren verunsichert, was das Fliegen anging. Wahrscheinlich war ich der Einzige auf dem Flughafen, der Gewissheit hatte, dass so etwas wie am 11. September nicht noch einmal passieren würde. Andere Gesichter zeigten Hass. War ich selbst eher wütend auf die Menschheit und die Religionen im Allgemeinen, waren andere Leute sehr schnell dabei, Personen zu verurteilen, die entfernt arabisch aussahen. Wir wurden Zeugen, als eine Gruppe von Leuten die Wachmannschaften aufforderte, einen Muslim amerikanischer Herkunft zu verhaften. Ein Inder, der einen Turban trug, wurde besonders hart überprüft, und ein Mann hinter uns in der Warteschlange meinte lauthals, dass man die alle umbringen müsste. Es dauerte eine Weile, bis ein anderer Amerikaner ihn darauf aufmerksam machte, dass Sikhs keine Muslime sind und demnach vermutlich mit den Attentaten nichts zu tun hätten. Aber der Mann in der Warteschlange wollte davon nichts wissen und nannte alle Turbanträger eine Gefahr.
    Wir landeten wohlbehalten wieder in Berlin und wurden von einem wahren Komitee empfangen. Anjas und meine Eltern waren gekommen, und es wurde viel umarmt. Selbst Anjas Mutter drückte mich oder versuchte mich zu erdrosseln, so ganz wurde ich nicht aus ihrer Art der Umarmung schlau. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Anja und meine Mutter tuschelten. Kurz darauf gab meine Mutter einen kleinen Schrei von sich und umarmte Anja gleich noch einmal. Nun war mir klar, worüber sie bereits vor unserem Abflug geflüstert hatten. Damit war die Katze aus dem Sack, und zur allgemeinen Wiedersehensfreude kam noch die Freude unserer Verlobung dazu. Anjas Mutter meinte mich gleich noch einmal umarmen zu müssen, aber diesmal hielt ich meinen Hals auf Abstand.
    Auf dem Heimweg sprach ich meinen Vater darauf an, was der Arzt zu seinen Bauchschmerzen gesagt hatte. Natürlich war er noch nicht zum Arzt gegangen. Er bestand darauf, dass es ihm wesentlich besser ginge und er sich die Untersuchung sparen konnte. Ich löcherte ihn den ganzen Weg deswegen, aber er wurde nur ärgerlich.
    „Nur weil du jetzt Arzt bist, musst du dich nicht so aufspielen“, erklärte er.
    Meine Mutter hatte nur ein Seufzen zur Diskussion beizutragen, und Anja begann meine Hand zu drücken, um mir zu signalisieren, dass ich das Thema ruhen lassen sollte. Nicht einmal ein halbes Jahr später sollte mein Vater völlig anders über das alles denken.

Kapitel 42
    Nach unserer Rückkehr aus den USA hatte ich alle Hände voll zu tun. Anja wollte selbstverständlich den Ring haben, den ich ihr versprochen hatte. Zu dem Zeitpunkt konnte ich mir den aber nur schwerlich leisten. Als „Arzt im Praktikum“ erhielt ich immerhin in den

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