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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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wieder bewusst, dass Washington zum damaligen Zeitpunkt die Stadt mit der höchsten Mordrate war, als ich Tod während unseres Spaziergangs gleich mehrere Male zufällig erblickte. In der Nähe der Museen, des Capitols und der anderen politischen Einrichtungen fühlte ich mich relativ sicher, aber etwas weiter draußen, wie zum Beispiel in der Nähe unseres Hotels, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Ich unterdrückte jegliche Absichten, weiter nachzuforschen, wenn ich Tod sah, da ich zumindest fürchten musste, dass Anja etwas passieren könnte und sie sicherlich wenig Verständnis gehabt hätte, wenn ich sie plötzlich hätte stehen lassen. Stattdessen spazierten wir in der untergehenden Sonne den Madison Drive an den Museen vorbei zum Washington Monument, bevor wir zurückfuhren und endlich wieder Schlaf bekamen.
    Innerhalb der nächsten Tage schauten wir uns ausgiebig Washington mit all seinen Museen, dem Weißen Haus und den Memorials an, und ich versuchte Tod zu ignorieren, der mir auf dem Arlington Friedhof am Gedenkstein für die Opfer des Challenger-Unglücks erklärte, wie schwer es doch gewesen sei, die Schmetterlinge der Toten einzufangen. Am Grab von JFK machte er vage Andeutungen über eine Verschwörung, die mich dazu veranlasste, umso schneller wieder weiterzugehen. Den Rest der Woche besuchten wir Baltimore und Philadelphia. In Philadelphia ließ ich es mir nicht nehmen, die Treppe vor dem Kunstmuseum hochzurennen, um dann meine beiden Fäuste wie Rocky in die Luft zu strecken. Anja machte ein Foto von mir, wie ich mir die Lunge halb aus dem Leib huste und versuche, die Arme oben zu behalten. Auch hier begleitete mich Tod, der zusätzlich noch den Kescher hochhielt und „Adrian!“ rief. Wäre ich nicht so aus der Puste gewesen, hätte ich vielleicht gelacht.
    Unsere zweite Woche in den USA stand ganz im Zeichen von New York. Wir wohnten außerhalb der Stadt in New Jersey und fuhren morgens mit der Bahn bis zur Penn Station, von wo aus wir am ersten Tag den nördlichen Teil Manhattans anschauten. Am zweiten Tag standen wir extrem früh auf, um im Süden der Insel die Fähren nach Liberty Island, zur Freiheitsstatue, oder nach Ellis Island, dem Einwanderermuseum, zu nehmen.
    Es war ungefähr Viertel vor neun, als das erste Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers flog.

Kapitel 40
    Wir hörten nur einen dumpfen Knall und waren zunächst nicht sicher, was eigentlich passiert war. Die Bäume des Parks an der Anlegestelle verdeckten die Sicht, aber nachdem etwas weiter entfernt einige Leute anfingen zu schreien, war allen klar, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Anja und ich lösten uns aus der Schlange und liefen am Ufer entlang, bis wir sahen, was vorgefallen war. Rauch quoll aus einem der Türme des World Trade Centers, und irgendwer rannte panisch an uns vorbei, laut etwas rufend, was ich erst nicht verstand, bis ich Anjas fassungsloses Gesicht sah.
    „Ein Flugzeug ist in das World Trade Center geflogen“, stammelte sie.
    Ich sah die schemenhafte Gestalt von Tod durch den Park rennen und mir aus der Ferne signalisieren, dass ich kommen sollte. Mein Magen krampfte sich zusammen, aber mir war klar, was ich tun musste. Ich nahm Anja ganz fest in den Arm und sprach, so ruhig ich konnte.
    „Hör mir zu. Fahr, so schnell es geht, zum Hotel zurück. Nimm am besten die Fähre, solange es noch geht. Einfach weg von dieser Insel. Ich komme später nach.“
    „Was? Wo willst du hin?“
    „Die Leute dort brauchen Hilfe. Ich bin Arzt, vielleicht kann ich helfen.“
    „Die haben doch genug Ärzte hier. Warum musst du da hin?“
    „Vermutlich gibt es eine Panik und eine Menge Verletzte. Ich könnte mir vorstellen, dass die für jeden Mann dankbar sind.“
    Ich konnte sehen, dass Anja die Sache nicht guthieß, aber verstand, warum ich das tun sollte und musste. Sie nickte nur. Ich nahm sie ganz fest in den Arm, als ein Dröhnen über unseren Köpfen erscholl und immer lauter wurde. Während ich Anja noch hielt, sah ich die zweite Maschine im Anflug und beobachtete, wie sie in den Südturm flog. Spätestens jetzt war allen klar, dass das kein Zufall sein konnte.
    „Was war das? Oh mein Gott, was war das?“, fragte Anja.
    „Noch ein Flugzeug hat den zweiten Turm gerammt“, erklärte ich ihr fassungslos. Danach sprach ich ganz ruhig zu ihr: „Warte im Hotel auf mich. Keine Angst, mir passiert schon nichts. Ich liebe dich.“
    Sie küsste mich noch einmal. „Pass auf dich auf, okay?

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