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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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weiß nicht, ob das die beste Option ist.“
    „Ist eine reine Chemotherapie nicht weniger erfolgversprechend?“, fragte ich.
    „Wir führen momentan eine Studie durch, die genau dies untersucht. Wir könnten versuchen, Ihren Vater dort unterzubringen.“
    „Und Sie glauben, dass beides die gleichen Chancen bietet?“
    „Nun“, der Arzt atmete durch, „Sie wissen selbst, wie gut die Chancen sind, nicht wahr?“
    Mein Vater sah sich zu mir um. „Was meint er damit?“
    Ich schluckte. Vom Bauchgefühl her kam ich mir vor, als wäre mir gerade ein Traktor über die Eingeweide gefahren. „Das Pankreaskarzinom ist eine der hinterhältigsten Krebsarten. Meistens ist es bei der Entdeckung schon zu spät.“
    Meine Mutter schaute besorgt. „Zu spät?“
    Mein Vater verstand viel besser. „Wie viel Zeit bleibt mir?“
    Der Arzt rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. Es ist halt nicht unbedingt die Lieblingsaufgabe von Ärzten, jemandem zu sagen, wie viel Lebenszeit ihm noch bleiben würde. „Nun, wollen wir doch erst mal sehen, ob die Chemotherapie nicht …“
    Mein Vater unterbrach ihn. „Wie lange?“ Er schaute zwischen dem Arzt und mir hin und her.
    „Ungefähr ein halbes Jahr“, sagte ich.
    Einen Moment lang war es still im Raum. Schließlich war es mein Vater, der etwas sagte.
    „Scheiße.“
    Der Pieper des Arztes sprang plötzlich an.
    „Ich muss mich leider entschuldigen, aber ich muss weg. Wenn Sie noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Ansonsten ist Ihr Sohn ein sehr kompetenter Ansprechpartner, denke ich.“
    Wir verabschiedeten uns vom Arzt und setzten uns im Flur an einen kleinen Tisch mit Blick auf das Grün draußen.
    Mein Vater fing plötzlich an zu weinen. „So eine Scheiße.“
    Meine Mutter drückte ihn und konnte sich ebenfalls die Tränen nicht verkneifen.
    „Sag jetzt nur nicht, dass du mir ja schon die ganze Zeit geraten hast, zum Arzt zu gehen.“
    „Habe ich nicht vor“, erwiderte ich.
    Auf dem Flur hinter meinem Vater stand Tod und blickte unverwandt auf unsere kleine Gruppe. Als ich ihn sah, stieg eine gewaltige Wut in mir hoch, ich musste den Impuls, aufzustehen und gewalttätig zu werden, heftigst unterdrücken.
    „Erst mal abwarten, wie die Chemotherapie anschlägt“, sagte ich und versuchte aufmunternd auszusehen. Tod schüttelte nur den Kopf. Meine Faust ballte sich unwillkürlich.
    Wir saßen noch einen Moment da und unterhielten uns, wie wir denn nun vorgehen würden. Im Grunde kam nichts dabei heraus. Der Schock saß uns zu sehr in den Knochen. Mein Vater meinte dann, dass er allein sein wollte. Ich brachte meine Mutter nach Hause und verabschiedete mich von ihr, um Tod entgegenzutreten, der uns die ganze Zeit vom Krankenhaus gefolgt war.
    Tod ging neben mir, bis ich außerhalb der Sichtweite der Wohnung meiner Eltern war.
    „Du hast echt Nerven, dass du nicht vor mir abhaust“, sagte ich, holte mit der Faust aus und hätte ihn voll ins Gesicht getroffen, wenn er nicht plötzlich verschwunden wäre. Ich strauchelte derart, dass es mich einige Mühe kostete, nicht lang hinzufallen.
    Tod stand plötzlich hinter mir und zuckte mit den Schultern. „Na ja, ist ja nicht so, dass du mir groß was anhaben könntest.“
    Wieder holte ich aus und schlug  abermals ins Nichts. Diesmal war mein Schwung so stark, dass ich auf die Schulter fiel und mir ein stechender Schmerz durch die Knochen jagte.
    „Tu mir einen Gefallen und hör auf mit dem Mist, ja?“, sagte Tod und hielt mir die Stange des Keschers hin, damit ich mich daran hochziehen konnte. Aber ich rappelte mich selbständig auf. Hilfe von Tod wollte ich nicht.
    „Was willst du?“, fauchte ich ihn an.
    „Ich bin lediglich vorbeigekommen, um dir mein Mitleid auszudrücken und dir zu sagen … nun … dass ich nichts damit zu tun habe.“
    „Na toll, der Tod kommt, um sein Mitleid auszudrücken.“
    „Ich gebe zu, dass ich da vielleicht nicht mehr ganz in Übung bin, aber ich dachte, das machen Freunde so“, sagte Thanatos.
    „Freunde? Meinst du wirklich, wir wären nach all dem, was du mir angetan hast, noch Freunde?“
    Tod blieb stehen und schaute mich traurig an.
    Ich fuhr fort. „Sieh es endlich ein: Ich werde deinen Job nicht übernehmen. Punkt. Und jegliche Art von Erpressung, die du versuchst, wie jetzt meinen Vater umzubringen, wird nichts daran ändern.“
    Tod schüttelte nur den Kopf. „Du glaubst es mir immer noch nicht. Es ist nicht meine Entscheidung, wer stirbt und wer

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