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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Morgentau.
    »Ja?«
    »Ciao, Aglaja. Ich bin’s, dein Vater.«
    Kurze Pause. Ein mittelschwerer Schock. Achterbahnfahrt der Gefühle. Wirbelnde Gedanken im Sog des Schrecks. Meines, aber sicherlich auch ihres. Schließlich brachte sie mit einer Mühe, auf der zehn Jahre Stillschweigen lasteten, Laute hervor, die an das klägliche Wimmern eines neugeborenen Kindes erinnerten.
    »Ciao, Pa …«
    Aber das reichte mir schon. Denn beim letzten Mal, als ich sie gesprochen hatte, war ich zu Eis erstarrt:
»Es tut mir leid, aber ich habe dir nichts mehr zu sagen.«
    Jetzt nannte sie mich immerhin wieder Pa. Offensichtlich hatte das kleine Daiquiri-Gelage, das ich mir zwei Monate zuvor mit ihrer Mutter gegönnt hatte, doch etwas gebracht. Im Café »Roger«, nur ich und Clara, meine Exfrau.
    Aglaja stand jetzt kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Und nannte mich Pa. Das hatte sie seit ihrem achten Lebensjahr nicht mehr getan. Seit ihre Mutter und ich uns nach Monaten ständiger Reibereien getrennt hatten. Jeder Anlass war damals für einen Streit gut gewesen.
    Zehn Jahre später, bei dem Gelage, hatten wir wieder gestritten. Aber wir hatten auch geredet. Vielleicht hatten wir es sogar geschafft, den hauchdünnen Faden der Zuneigung wieder zusammenzuknoten, einer Zuneigung, die so tief war, dass sie das Ende unserer Liebe überdauert hatte. Leider schaffte Clara es jedoch nicht, Zuneigung von Liebe zu unterscheiden, das war offenbar zu schwierig für sie. Zwischentöne waren nicht ihre Stärke, ihre Welt war ganz und gar in Schwarz-Weiß gehalten. Für meine Exfrau war die Unveränderbarkeit von Gefühlen ein Dogma, ein Glaubensgrundsatz. Sinnlos, darüber zu diskutieren. Die Welt musste sich in ihren Bahnen bewegen. Geometrischen Bahnen, die sie in ihrem Kopf entwarf, wobei sie sich vormachte, dadurch alle Unwägbarkeiten umschiffen zu können, die das Leben so bereithielt. Clara würde die Zukunft am liebsten in eine Zwangsjacke stecken. Ich dagegen trug nicht einmal Unterhosen. Was für eine Chance hätte unsere Beziehung da haben können?
    »Wie geht’s dir, Kleine?«
    Wieder ein kurzes Zögern. Vielleicht war es Groll oder einfach nur die Tatsache, dass ich sie so nannte.
    »Ganz gut. In ein paar Tagen habe ich Ferien.«
    »Deswegen rufe ich an.« Das war glatt gelogen.Obendrein ertappte ich mich dabei, dass ich mich jetzt erst fragte, wieso sie zu dieser Uhrzeit ans Telefon ging. »Wieso bist du eigentlich heute nicht in der Schule?«
    »Die Griechisch- und Lateinlehrerin ist krank. Der Unterricht fängt erst um zehn an. Aber sag mal, wenn du gedacht hast, dass ich in der Schule bin, warum hast du dann angerufen?«
    »Ich hab es eben einfach mal probiert.«
    »Wolltest du mit Mama sprechen? Sie ist nicht da. Sie arbeitet.«
    »Nein, ich wollte mit dir sprechen. Ich bin gerade in Sardinien, beruflich. Aber ich glaube, ich werde nicht viel zu tun haben, außer am Strand rumzuliegen, mich zu sonnen und ein Buch zu lesen. Das ist ein wunderschöner Ort hier. Außerdem hat der Freund, bei dem ich wohne, eine Tochter in deinem Alter. Wenn du mit der Schule fertig bist, könntest du herkommen.«
    Sie überlegte ein paar Sekunden lang. »Das muss ich erst mit Mama bereden. Wo ist denn das genau?«
    »In der Ogliastra, im Süden von Arbatax. In Sarrala. Das ist der am Meer gelegene Teil von einem größeren Dorf, Tertenia.«
    »Hat das was mit der Costa Smeralda zu tun?«
    »Nein, nicht mal entfernt. Hier gibt es nur Schafe und Hirten. Zwei Bars, zwei Trattorien und einen endlos langen, einsamen Strand.«
    »Das gefällt mir. So was wie Porto Cervo oder Porto Rotondo kann ich nämlich nicht ab. Und die Leute, die sich da rumtreiben, erst recht nicht.«
    »Ich wohne in einem Haus am Strand. Heute Morgen bin ich vom Meeresrauschen aufgewacht …«
    »Okay, kannst du mich heute Abend noch mal anrufen?«
    »Sicher. Ist um acht in Ordnung?«
    »Ja, super.«
    Als ich auflegte, war ich wie elektrisiert. Auf diesem fremden Klo hier war ich gerade zehn Jahre Wut und Schmerzen losgeworden. Zehn Jahre Schuldgefühle. Zehn Jahre, die ich weitab von meiner Tochter verbracht hatte. Und das einfach so, ohne viel Tamtam.
    Während ich über Aglajas Worte über die Costa Smeralda und die Leute dort nachdachte, wusch ich mir das Gesicht und zog meine Badehose an. Ein großes Strandhandtuch aus Frottee, meine Pfeife und die Sonnenbrille – mehr brauchte ich nicht.
    Gemächlich schlenderte ich den Pfad durch den Weinberg entlang und fühlte

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