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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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zurückziehen und von der Bildfläche verschwinden.»
    «Aber?»
    «Aber so wie die Dinge liegen, halte ich mich in Bereitschaft! Wenn sie mich braucht, werde ich da sein! »
    «Der Ritter ohne Furcht und Tadel», murmelte Gérard.
    «Wie bitte?»
    «Mein lieber Freund, Ritterlichkeit findet man heutzutage nur noch bei Ihnen in Amerika! Sie sind es zufrieden, der Dame Ihres Herzens auch ohne Aussicht auf Belohnung zu dienen! Höchst bewundernswert, in der Tat! Was genau hoffen Sie, für die Dame tun zu können?»
    «Ich will einfach zur Stelle zu sein, wenn sie mich braucht.»
    «Und wie, wenn ich fragen darf, verhält sich die alte Mrs Boynton Ihnen gegenüber?»
    Jefferson Cope sagte bedächtig: «Ich bin mir nie ganz klar über sie. Wie ich schon sagte, hält sie nichts davon, Kontakte mit Außenstehenden zu haben. Aber bei mir ist es anders. Zu mir ist sie immer sehr freundlich und behandelt mich fast wie ein Familienmitglied.»
    «Das heißt, sie billigt Ihre Freundschaft mit der jungen Mrs Boynton?»
    «Ja.»
    Dr. Gérard zuckte die Schultern. «Ist das nicht etwas merkwürdig?»
    Jefferson Cope erwiderte förmlich: «Ich darf Ihnen versichern, Dr. Gérard, dass diese Freundschaft nicht im Entferntesten ungehörig ist. Sie ist rein platonisch.»
    «Ich bitte Sie, mein Lieber, davon bin ich überzeugt! Dennoch wiederhole ich, dass es sonderbar ist seitens Mrs Boyntons, diese Freundschaft zu ermutigen. Mrs Boynton interessiert mich – sie interessiert mich sogar sehr, Mr Cope.»
    «Sie ist wirklich eine erstaunliche Frau. Sie hat sehr viel Charakterstärke – und eine ausgeprägte Persönlichkeit. Wie gesagt, Eimer Boynton vertraute ihr vollkommen.»
    «So sehr, dass er bereit war, ihr seine Kinder in finanzieller Hinsicht auf Gedeih und Verderb auszuliefern. In meinem Land, Mr Cope, wäre dergleichen von Rechts wegen unmöglich.»
    Mr Cope stand auf. «Wir Amerikaner», sagte er, «glauben nun einmal fest an absolute Freiheit.»
    Dr. Gérard erhob sich ebenfalls. Mr Copes Worte machten keinen Eindruck auf ihn. Er hatte sie schon früher gehört, von Menschen unterschiedlichster Nationalität. Die Illusion, Freiheit sei das Vorrecht des jeweils eigenen Volkes, ist ziemlich weit verbreitet.
    Dr. Gérard war klüger. Er wusste, dass kein Volk, kein Staat und kein Mensch wahrhaft frei zu nennen ist. Aber er wusste auch, dass es unterschiedliche Grade der Unfreiheit gibt.
    Nachdenklich und neugierig zugleich ging er hinauf in sein Zimmer.

Sechstes Kapitel
     
    S arah King stand auf dem Tempelberg, dem Haram esh-Sharif. Hinter ihr lag der Felsendom. Das helle Plätschern der Brunnen drang an ihr Ohr. Grüppchen von Touristen gingen vorbei, ohne den Frieden der orientalischen Atmosphäre zu stören.
    Seltsam, dachte Sarah, dass einst ein Jebusiter diesen felsigen Hügel als Tenne benutzt und dass David ihn für 50 Silberschekel gekauft und dort einen Altar errichtet hatte. Und jetzt war hier das Stimmengewirr der Besucher aus aller Herren Länder zu vernehmen.
    Sie drehte sich um und betrachtete die Moschee, die sich nun über dem Heiligtum erhob, und fragte sich, ob Salomos Tempel auch nur halb so schön gewesen sein konnte.
    Schritte waren zu hören, und eine kleine Gruppe trat aus der Moschee ins Freie. Es waren die Boyntons, begleitet von einem geschwätzigen Dragoman. Mrs Boynton wurde von Lennox und Raymond gestützt. Dahinter kamen Nadine und Mr Cope. Den Abschluss bildete Carol. Als sie weitergingen, entdeckte letztere Sarah.
    Sie zögerte, machte dann, einem plötzlichen Entschluss folgend, kehrt und lief rasch und geräuschlos über den Platz.
    «Verzeihen Sie», sagte sie atemlos. «Ich muss – ich wollte – ich muss mit Ihnen reden.»
    «Ja?», sagte Sarah.
    Carol zitterte heftig. Ihr Gesicht war sehr blass.
    «Es geht um – um meinen Bruder. Als Sie ihn gestern Abend ansprachen, müssen Sie ihn für – für sehr unhöflich gehalten haben. Aber das war nicht seine Absicht. Er – er konnte nur nicht anders. Bitte glauben Sie mir!»
    Für Sarah hatte Carols Auftritt etwas Absurdes. Er beleidigte nicht nur ihren Stolz, sondern auch ihren guten Geschmack. Wie kam eine wildfremde Person dazu, auf sie loszustürmen und eine lächerliche Entschuldigung für ihren flegelhaften Bruder vorzubringen?
    Sie hatte schon eine spontane Bemerkung auf den Lippen, doch dann schwang ihre Stimmung plötzlich um.
    Hier schien ein besonderer Fall vorzuliegen. Das junge Mädchen meinte es todernst. Die Neigung, die Sarah

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