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Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
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verachtete den alternden König Faruk I. wegen dessen Komplizenschaft mit den Briten. Ägypten wurde zu der Zeit von antibritischen Protesten erschüttert, und aufrührerische politische Gruppen setzten sich zum Ziel, die Briten aus dem Land zu vertreiben - und vielleicht auch den König. Es waren vor allem seine unverblümten und scharfzüngigen Kommentare, die diesen unscheinbaren, durchschnittlichen Regierungsangestellten gefährlich machten. Er schaffte es zwar nie in die erste Riege der zeitgenössischen arabischen Literaturszene, was ihn zeitlebens grämte, doch aus dem Blickwinkel der Regierung wuchs er zu einem ernst zu nehmenden Gegner heran.
    Qutb war in vielfacher Hinsicht ein westlicher Mensch: in seiner Kleidung, in seiner Liebe zu klassischer Musik und Hollywood-Filmen. Er hatte die Werke von Darwin und Einstein, von Byron und Shelley in Übersetzungen gelesen und sich eingehend mit der französischen Literatur beschäftigt, insbesondere mit Victor Hugo. 6 Doch schon vor seiner Reise beunruhigte ihn das Vordringen einer alles verschlingenden westlichen Zivilisation. Trotz seiner Gelehrsamkeit betrachtete er den Westen als eine geschlossene kulturelle Einheit. Die Unterschiede zwischen Kapitalismus und Marxismus, Christentum und Judentum, Faschismus und Demokratie waren unbedeutend im Vergleich zu der großen Scheidelinie im Denken von Qutb: dem Islam und dem Osten auf der einen und dem christlichen Westen auf der anderen Seite.
    Amerika allerdings hatte sich jener kolonialistischen Abenteuer enthalten, welche die Beziehungen Europas zu der arabischen Welt geprägt hatten. Am Ende des Zweiten Weltkriegs überbrückte Amerika die politische Kluft zwischen den Kolonisten und den Kolonisierten. Es war in der Tat verlockend, sich Amerika als den Inbegriff des Antikolonialismus vorzustellen: eine unterdrückte Nation, die sich befreit und auf eindrucksvolle Weise ihre früheren Herren überflügelt hatte. Die Macht Amerikas schien auf seinen Werten zu gründen, nicht auf europäischen Vorstellungen von kultureller Überlegenheit oder den Vorrechten bestimmter Rassen und Klassen. Und weil sich Amerika als Einwanderungsland darstellte, konnte es ein entspannteres Verhältnis zum Rest der Welt aufbauen. Wie die meisten übrigen Völker hatten auch Araber Auswandererkolonien in Amerika gegründet, und durch die verwandtschaftlichen Bande wurden auch den Daheimgebliebenen jene Ideale nähergebracht, die dieses Land zu vertreten beanspruchte.
    Daher war Qutb wie viele Araber entsetzt und fühlte sich hintergangen, als die US-Regierung nach dem Krieg die zionistische Sache unterstützte. Als Qutbs Schiff aus dem Hafen von Alexandria auslief, befand sich Ägypten zusammen mit fünf weiteren arabischen Armeen im Endstadium eines Krieges, in dessen Gefolge Israel als jüdischer Staat in der arabischen Welt etabliert wurde. Die Araber waren nicht nur über die Entschlossenheit und die Kampfkraft der Israelis verblüfft, sondern auch über die Unfähigkeit ihrer eigenen Truppen und die katastrophalen Entscheidungen ihrer politischen Führer. Diese schmachvolle Erfahrung sollte die geistige Welt Arabiens stärker prägen und bestimmen als jedes andere Ereignis der jüngeren Geschichte. „Ich hasse diese westlichen Menschen und verachte sie!“, schrieb Qutb, nachdem US-Präsident Truman sich für die Übersiedlung von 100 000 jüdischen Flüchtlingen nach Palästina ausgesprochen hatte. „Alle von ihnen, ohne Ausnahme: die Engländer, die Franzosen, die Holländer und schließlich auch die Amerikaner, denen so viele von uns vertraut haben.“ 7
     
    DER MANN in der Luxuskabine hatte auch die romantische Liebe kennen gelernt, doch in erster Linie deren schmerzhafte Seite. Er hatte eine kaum verfremdete Darstellung einer gescheiterten Beziehung in einen Roman eingearbeitet; anschließend wollte er vom Heiraten nichts mehr wissen. Er erklärte, es sei ihm nicht möglich gewesen, eine passende Braut zu finden unter den „unehrenhaften“Frauen, die sich in der Öffentlichkeit zeigten 8 , eine Haltung, die dafür sorgte, dass er als Mann in mittleren Jahren allein und verbittert war. Er liebte weiter den Umgang mit Frauen - er pflegte ein inniges Verhältnis zu seinen drei Schwestern -, aber die Sexualität ängstigte ihn, er lehnte sie ab und betrachtete Sex als den Hauptfeind der Erlösung.
    Die engste Beziehung seines Lebens war die zu seiner Mutter Fatima, einer ungebildeten, aber frommen Frau, die ihren geliebten Sohn

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