Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
scheint es, sind die Kreuzzüge noch immer nicht beendet. Auch der blinde Hass erscheint Coleman nur schwer begreiflich. Was haben wir ihm nur angetan?, fragt er sich.
Coleman zeigt Bin Ladens Fatwa Staatsanwälten aus dem Büro des US-Bundesanwalts für den Südlichen Distrikt des Staates New York. Es ist ein eigenartiges, skurriles Dokument, aber ist sein Inhalt auch strafbar? Die Anwälte brüten über dem Text und graben schließlich ein nur selten herangezogenes Gesetz über aufrührerische Verschwörungen aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs aus, in dem die Aufstachelung zur Gewalt und der Versuch, die US-Regierung zu stürzen, unter Strafe gestellt werden. Es erscheint einigermaßen gewagt, dieses Gesetz auf einen staatenlosen Saudi anzuwenden, der in einer Höhle in Tora Bora haust, doch trotz dieser dürftigen Rechtsgrundlage legt Coleman eine Strafakte über jenen Mann an, der später zur meistgesuchten Person in der Geschichte des FBI werden wird. Immer noch arbeitet er ganz allein.
Einige Monate später, im November 1996, reist Coleman zusammen mit den US-Anwälten Kenneth Karas und Patrick Fitzgerald zu einem US-Militärstützpunkt in Deutschland. Dort wird ein verängstigter sudanesischer Informant namens Dschamal al-Fadl in Gewahrsam gehalten, der behauptet, in Khartoum für Osama Bin Laden gearbeitet zu haben. Coleman hat einen Ordner mit Fotos von Bin Ladens bislang bekannten Mitstreitern dabei, und Fadl identifiziert schnell die meisten von ihnen. Der Mann will natürlich seine Story verkaufen, aber er kennt diese Leute zweifellos. Das Problem ist nur, dass er den Ermittlern immer wieder Lügen auftischt, seine Geschichte aufbauscht und sich als Helden darzustellen versucht, der immer nur das Richtige tun wollte.
„Warum sind Sie weggegangen?“, wollen die Ermittler von ihm wissen.
Fadl antwortet, weil er Amerika liebe. Er habe in Brooklyn gelebt und spreche Englisch. Dann erklärt er, er habe sich abgesetzt, damit er einen Bestseller schreiben könne. Er wirkt unruhig, es fällt ihm schwer, stillzusitzen. Offensichtlich weiß er noch sehr viel mehr. Erst nach mehreren Tagen hört er mit seinen Fantastereien auf und gibt zu, dass er Bin Laden mehr als 100 000 Dollar gestohlen habe und damit geflohen sei. Bei diesem Geständnis schluchzt er unaufhörlich. Das ist der Wendepunkt des Verhörs. Fadl erklärt sich bereit, als Zeuge der Regierung aufzutreten, sollte es irgendwann zu einem Prozess kommen, was allerdings mehr als unwahrscheinlich ist angesichts der wenig schwerwiegenden Beschuldigungen, die die Staatsanwälte ins Feld führen können.
Dann beginnt Fadl von sich aus über eine Organisation namens al-Qaida zu sprechen. Die Männer im Verhörraum haben diesen Begriff vorher noch nie gehört. Fadl berichtet von Ausbildungslagern und Schläfer-Zellen. Er spricht davon, dass Bin Laden daran interessiert sei, sich nukleare und chemische Waffen zu verschaffen. Er sagt, dass al-Qaida für einen Bombenanschlag 1992 im Jemen verantwortlich gewesen sei und für die Ausbildung von Aufständischen, die im selben Jahr in Somalia einige amerikanische Hubschrauber abgeschossen haben. Er nennt Namen und skizziert den Aufbau der Organisation. Die Ermittler sind verblüfft über Fadls Aussagen. Zwei Wochen lang gehen sie jeden Tag sechs oder sieben Stunden lang die Einzelheiten immer wieder durch und überprüfen seine Antworten, um herauszufinden, ob seine Angaben verlässlich sind. Fadl verwickelt sich kein einziges Mal in Widersprüche.
Zurück in den USA, scheint sich niemand sonderlich für die Geschichte zu interessieren. Fadls Erklärungen seien zweifellos beunruhigend, heißt es, aber wie könne man der Aussagen eines Diebes und Lügners Glauben schenken? Zudem gibt es andere, dringendere Ermittlungsverfahren.
Eineinhalb Jahre lang setzt Coleman seine einsamen Ermittlungen zu Osama Bin Laden fort. Weil er der Alec Station des CIA zugeordnet ist, vergisst man ihn im FBI mehr oder weniger. Mit Hilfe abgehörter Telefonate kann Coleman eine Karte des al-Qaida-Netzwerks erstellen, das sich über den Nahen Osten, Afrika, Europa und Zentralasien erstreckt. Beunruhigt stellt er fest, dass viele von jenen, die mit al-Qaida kooperieren, Verbindungen in die Vereinigten Staaten haben. Coleman zieht daraus den Schluss, dass es sich um ein weltweites Terrornetz handelt, das entschlossen ist, Amerika zu vernichten, doch er kann seine Vorgesetzten nicht einmal dazu bewegen, seine diesbezüglichen
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