Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
anderem.«
»Weswegen?«
»Ich hatte in all der Stille das Gefühl, dass die Heiligenfiguren mir auf den Hintern schauten.«
Ruth wollte lachen, aber sie konnte nicht. Jede Bewegung ihres Mundes nahm ihr die Luft.
»Deshalb hat Mama am Ende immer den Altarbereich geputzt und ich die linke Seite, denn dort war die einzige Figur, die mich von hinten sehen durfte, die Heilige Jungfrau.«
Ruths Knochen knackten wieder.
»Ihr wart alle gute Mädchen, Mabel … Nun, die ein oder andere vielleicht nicht so ganz. Aber du musst doch auch manchmal gedacht haben, dass ich dir damals das Einzige gegeben habe, das ich dir geben konnte, das die Straße uns bot. Und so schlecht war das im Grunde doch nicht. Ich weiß nicht, ob es sich gelohnt hätte, das gegen eine Zweizimmerwohnung, einen Waschsalon, einen Abfalleimer und einen Mann zu tauschen, der letztlich dasselbe mit dir gemacht hätte, nur für weniger Geld.«
»Ich habe das manchmal geglaubt, Ruth.«
»Aber du hast mir in all den Jahren nicht verziehen. Du hast mich für alles bezahlen lassen, vom ersten bis zum letzten Mann.«
»Ja, ich habe Gerechtigkeit geübt. Du musstest auch etwas zahlen.«
»Gerechtigkeit? Du hast mich furchtbar leiden lassen, Mabel. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich wäre in der Hölle gelandet.«
»Ganz im Gegenteil, ich habe verhindert, dass du dort landest.«
Mabel lächelte. Wie so oft geschah ein Wunder in ihrem Gesicht. Das Lächeln der reifen Frau, die nur Betten gesehen hatte, verwandelte sich in das eines Mädchens, das nur Bilder an der Wand gesehen hatte.
Da flüsterte Mabel:
»Komm, streng dich an. Steh auf und begleite mich bis zur Tür. Du wirst etwas sehen, das du hättest sehen können, aber nie gesehen hast.«
Der Saugnapf entfernte das Glas völlig geräuschlos. Erasmus schob die behandschuhte Hand durch die Öffnung. Er war nicht so dumm, Spuren zu hinterlassen, denn ihm war bewusst, dass sie so berühmt wie das Motive auf einer Briefmarke waren. Er tastete sich zum Griff vor und schlüpfte hinein. Es war nur ein schwaches Klicken zu hören und auch nur zwei Schritte weit.
Der Flur. Der nach altem Stil mit Teppich ausgelegte Flur, wie die in den Hotels seiner Jugend, wo es immer ein Zimmermädchen gegeben hatte, das bereitwillig den Nachtdienst übernahm. »Die von früher schauten nicht auf die Uhr«, dachte er manchmal. Der Teppich schluckte das Geräusch seiner Schritte, und in dem schwach beleuchteten Flur war er durch die Dunkelheit geschützt.
Er kannte den Grundriss des Hauses nicht gut, aber gut genug, um zu wissen, dass das kleine Licht hinten zum Eingangsbereich gehörte, wo sich die Treppe zum oberen Stockwerk befand. In dem Flur gab es nur eine Tür, die zu einer Toilette führte. In alten Häusern gibt es eine Toilette auf dem Flur, wie in alten Hotels. Über der Tür war ein dunkles Rechteck aus Glas, es befand sich also niemand darin.
Nun, den leichteren Teil hatte er hinter sich. Jetzt musste er herausfinden, in welchem Zimmer Miralles war, schnell hineingehen und ihm sofort einen Schuss verpassen. Falls jemand bei ihm war, Pech für ihn.
Viele Diebe betreten Schlafgemächer, ohne dass die Schlafenden es merken, und Erasmus wusste, dass er schlauer war als sie. Das einzige Problem war, dass die Tür beim Öffnen knarren könnte. Doch Erasmus vertraute auf die Schnelligkeit seines Abzugs. Sobald jemand ihn bemerkte, hatte er auch schon eine Kugel im Kopf, noch bevor er irgendeine Bewegung machen konnte.
Stille.
Er betrat das schwach erleuchtete Vestibül, wo er sich orientieren konnte. Erasmus blieb stehen und hielt die Luft an. Er sah die Treppe nach oben, zwei geschlossene Türen und eine offene. Die offene Tür führte – und das wusste Erasmus nicht – zu einem überladenen, feierlichen Arbeitszimmer aus einer Zeit, in der die Leute es noch verstanden, wichtig zu sein, und das Land eine Berufung zum Imperium hatte.
Vom Vestibül ging ein Flur ab, der in einem Fenster zum Garten endete. Dort war auch eine Tür. Erasmus überlegte, ob er zuerst diese Tür öffnen sollte.
Plötzlich ein Knacken.
Eine der beiden Türen zum Vestibül ging auf.
Ein junges, halbnacktes Mädchen erschien auf der Türschwelle.
Erasmus überlegte, was Méndez jetzt wohl denken würde:
›Mist.‹
Sie war jung und hübsch. Aber sie bewegte sich schlaftrunken, sie bekam bestimmt nichts mit.
Erasmus fand gerade noch Zeit, sich in der einzigen vorhandenen Wandnische zu verstecken.
Doch das war nicht
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