Der Todesengel von Florenz
musste, musste getan werden – und wenn es noch so widerlich war. Keine halben Sachen und nie das Ziel aus dem Blick verlieren! Die Botschaft musste unmissverständlich sein. Das galt auch für die anderen, die auf seiner Liste standen und dem Mönch folgen würden. Bei keinem durften hinterher Zweifel aufkommen, warum er den Tod gefunden hatte.
»Also bringen wir auch das hinter uns!«, raunte er sich selbst zu, stellte sich breitbeinig über den Leichnam und schlug mit Hilfe des Dolchs den schwarzen Umhang nach beiden Seiten zurück. Dann schob er dem Mönch die Tunika auf dieselbe Weise bis über den Nabel hoch und entblößte damit seinen Unterleib. Er zögerte kurz, dann beugte er sich hinunter, schlitzte das fadenscheinige Untergewand auf und setzte die Klinge an.
Wie gut, dass er daran gedacht hatte, alte Lederhandschuhe anzuziehen!
7
K euchend und schwitzend wankte Bruder Bartolo Lorentino durch die hohe Bogentür und in die bottega seines Novizenmeisters, von dem er auch das Handwerk des Malens, insbesondere der Freskenmalerei, zu erlernen trachtete.
Sowie er die langgestreckte und mit großen Steinplatten ausgelegte Werkstatt betrat, umgab ihn das stets aufs Neue berauschende Aroma. Es setzte sich aus den vielfältigen Gerüchen zusammen, die den Farbpigmenten, dem abgelagerten Holz der Tafeln, den Staffeleien, den grundierten Leinwänden, den steifen cartone fürs Vorzeichnen von Fresken sowie den Gefäßen mit Kalk und Zinkblende, Antimon und Harz, Leim und gebleichtem Öl, Beize aus Alaun und Pulver aus zerriebenen Weinstöcken und noch so vielen anderen Utensilien entströmten. Und über allem lag der intensive Geruch von Leinöl, der die Aromenvielfalt einer jeden Malwerkstatt dominierte.
Verglich man die Bottega mit den Werkstätten anderer Maler in Florenz, von denen nicht wenige eine ganze Reihe von Gesellen und Lehrlingen in Lohn und Brot hielten, machte sie nicht viel her. Aber das tat der Zuneigung, die Pater Angelico für sein Atelier empfand, nicht den geringsten Abbruch. Er liebte diesen Ort der Stille und der verheißungsvollen Düfte.
Auch Bruder Bartolo liebte die Stunden, die er hier mit seinem Meister verbrachte. Nur wünschte er, die kalten Tage wären gezählt und die belebende Wärme des Frühlings möge endlich einkehren, aber bis die Sonne wieder kräftiger auf die Toskana herabschien und ihm das Leben buchstäblich leichter machte, würden – dem Herrn sei’s geklagt! – noch Wochen vergehen. Lange Wochen, in deren Verlauf er sich noch etliche Male so würde abschleppen müssen wie jetzt!
Die schmalen Hände des Novizen mit den knabenhaften Zügen und dem gelockten, nussbraunen Haar steckten nicht von ungefähr in dicken, ausgepolsterten Lederhandschuhen, deren Stulpen ihm fast bis zu den Ellbogen reichten. Er plagte sich mit zwei großen, schweren Metalleimern ab. Über den Deckeln, die mit einem halben Dutzend goldstückgroßer Löcher versehen waren, flirrte die Luft.
Die Eimer waren mit glühenden Kohlen gefüllt, und es schien, als wollten sie dem Novizen die Arme aus dem schlaksigen Körper reißen. Zumindest verstand Bruder Bartolo sich darauf, diesen Eindruck zu erwecken, indem er gequält das Gesicht verzog und sich steif und scheinbar unter Aufbietung letzter Kraftreserven bewegte.
Kurz nach ihm trug auch Laienbruder Gregorio zwei Eimer glühende Kohlen in die Werkstatt. Doch der konverse, ein einfacher, breitschultriger Mann von Anfang dreißig, mit pechschwarzem Vollbart, plattgedrückter Nase und muskelbepackten Armen, machte im Vergleich zu dem Novizen einen geradezu leichtfüßigen Eindruck.
»Bei den Leiden des Erlösers, was für eine Plackerei!«, stieß Bruder Bartolo hervor und steuerte das ihm am nächsten stehende Kohlenbecken an, das auf einem Dreibein ruhte. »Dass zur Malerei auch Schwerstarbeit gehört, habe ich nicht gewusst!«
Pater Angelico stand am hinteren der drei hohen Bogenfenster, die in die Längswand des Raums eingelassen waren und zum Klostergarten hinausgingen. Frühes Morgenlicht fiel auf mehrere unterschiedlich große Staffeleien sowie auf Regale und Tische, auf denen ein dem Uneingeweihten wüst erscheinendes Durcheinander aus Malutensilien, Gerätschaften und Gefäßen aller Art und Größe herrschte.
Wohin der Blick auch schweifte, er fiel auf Steintöpfe, aus denen Pinsel und Federn ragten; auf Spachtel, Feilen, Messstäbe und Stichel; auf Mischpaletten, Zinnschalen, Eisentöpfe, Brennlöffel, Mörser und Bronzepfannen;
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