Der Todesengel von Florenz
Wissbegier war und zudem die nötigen Anlagen besaß, um eines Tages einen respektablen Maler abzugeben. Seine Zeichnungen ließen eine gute Beobachtungsgabe ebenso erkennen wie beachtliches Talent. Aber dass Bartolo jetzt nachfragte, den Stößel ruhen ließ und ihn erwartungsvoll ansah, hatte vermutlich weniger mit Wissbegier als mit einem müden Arm zu tun. Der Novize brauchte wohl eine Atempause, und er gewährte sie ihm.
»Weil aus Terra Verde der zartgrüne Farbton gewonnen wird, den wir verdaccio nennen«, erklärte er. »Dieses Verdaccio braucht man, um das inkarnat herzustellen, die Hautfarbe, im Übrigen eine der schwierigsten Techniken in der Malerei. Willst du ein Gesicht malen, das lebendig wirkt und eine natürliche Hautfarbe hat, musst du Verdaccio aus Terra Verde als Untergrund nehmen. Den übermalst du später mit Weiß und einem sorgfältig bemessenen Hauch Zinnoberrot, und dann leuchtet die Haut so frisch, als wäre sie lebendig.«
Ein Schmunzeln kräuselte Bruder Bartolos Mundwinkel. »Jetzt verstehe ich, weshalb Ihr die Terra Verde einen Diener nennt, der im Verborgenen bleibt! Ein trefflicher Vergleich, Meister!«
»Bei Gott, das will ich wohl meinen! Ohne ihre Bediensteten sind die Reichen und Mächtigen dieser Welt doch aufgeschmissen und hilflos und geben ein so gewöhnliches Bild ab wie jeder, der alle Arbeiten selbst verrichten muss, das Leeren und Auswaschen der Nachttöpfe eingeschlossen. Erst die mannigfachen Dienste ihrer Lakaien, Dienstboten und anderen Untergebenen machen es ihnen möglich, sich aus der gesichtslosen Masse zu erheben und alle Welt mit dem Glanz und der Pracht zu blenden, die andere für sie geschaffen haben«, sagte Pater Angelico in einem Ton, der verriet, dass er nicht nur über die Farben sprach, sondern gleichzeitig auch die hohen signori und Noblen der Stadt vor Augen hatte, die über Florenz herrschten und keine Gelegenheit ausließen, sich mit ihrem Reichtum und ihrer Macht öffentlich in Szene zu setzen – allen voran ihr ungekrönter Fürst und Stadtherr Lorenzo de’ Medici, der sich nur zu bereitwillig von der Masse als Il Magnifico bewundern und zujubeln ließ.
Doch dann winkte er ab und kam auf den Kern seiner Ausführung zurück: »Ich verwende übrigens nur die Terra Verde, die aus Verona kommt, weil es die beste ist. Und alle Maler, die ihr Handwerk verstehen und es sich leisten können, halten es genauso. Lass dir nicht erzählen …«
Weiter kam Pater Angelico nicht, denn in dem Moment wurde die Tür zur Werkstatt aufgestoßen, und eine dunkle, grollende Stimme blaffte wie einen Befehl in den Raum: »Benedicite!«
8
P ater Angelico empfand die herrische Stimme des Klosteroberen in seinem Rücken wie einen Schlag mit einem nassen, dreckigen Lappen in den Nacken: unangenehm und höchst ärgerlich. Was weder eine neue noch eine seltene Erfahrung war. In letzter Zeit erschien ihm nahezu jede Begegnung mit dem Prior als Zumutung, was vermutlich auf Gegenseitigkeit beruhte.
Er wollte nicht ausschließen, dass er an der Zerrüttung zwischen ihnen durchaus seinen Anteil hatte. Immerhin tat er sich schwer damit, Vincenzo Bandelli den demütigen Gehorsam und Respekt, die dieser als Prior für sein angestammtes Recht hielt und auch ganz unverblümt von jedem Klosterbruder einforderte, tatsächlich zu zollen.
Alles in ihm begehrte dagegen auf, einen Mann mit »Ehrwürdiger Vater« anzusprechen, dessen Eitelkeit ebenso offenkundig war wie sein ehrgeiziges Streben nach weitaus höheren kirchlichen Würden, als ein florentinisches Priorat sie darstellte. Diese Verfehlung – mit der er selbst nicht frei war von Anmaßung und Eitelkeit, wie er sich widerwillig eingestehen musste – hatte er sich vorzuwerfen, wie noch so manche andere Schwäche.
Aber es war doch zweifellos Vincenzo Bandelli gewesen, der die Saat des Unguten und der Herabsetzung ausgebracht hatte! Nun erntete er, was er gesät hatte, gemäß der biblischen Warnung: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten!« Denn der Prior war es gewesen, der ihn, den einstigen gottlosen Waffenknecht, in San Marco vom ersten Tag an unterschwellig, aber doch unverkennbar hatte spüren lassen, dass er ihn nur widerwillig in seinen Konvent aufgenommen hatte, weil er sich den Fürsprechern des Neuen nicht zu widersetzen gewagt hatte. Und dass der Neue sich nicht nur auf theologischem Gebiet als ihm mindestens ebenbürtig erwiesen, sondern sich in Florenz, wo wahrlich kein Mangel an hervorragenden Künstlern
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