Der Todesengel von Florenz
nehmen. Wir sollten eilen und nicht eine Sekunde verschenken.« Damit zog er den Dominikaner nach rechts in die Seitengasse.
»Seit wann ist der Weg durch die Via Sant’Anna eine Abkürzung, wenn man zum Haus von Ser Aurelio will?«, wandte Pater Nicodemo verwirrt ein, gab dem sanften Druck aber dennoch nach. »Das Haus der Rovantini liegt doch genau an der Ecke zur Piazza di San Ambrogio.«
»Es mag Euch nicht so erscheinen«, sagte der Mann mit dem Dolch, als sie sich dem großen Gebäude zu ihrer Linken näherten, einer Brandruine, halb eingestürzt und von den Flammen gezeichnet, »aber vertraut mir, wenn ich Euch versichere, dass dies der schnellste Weg zum Tod ist!«
Noch während er das sagte, glitt seine linke Hand von der Schulter des Priesters und presste sich auf dessen Mund. Gleichzeitig flog die Hand mit dem Dolch unter dem Umhang hervor. Und ehe Pater Nicodemo wusste, wie ihm geschah, durchtrennte die rasiermesserscharfe Klinge ihm schon die Kehle.
Der Todesschrei, der in ihm aufstieg, drang nicht mehr in die Nacht hinaus. Wie eine dunkle Fontäne schoss – ein paar Augenblicke noch geleitet vom Rhythmus des Herzschlags – Blut aus der klaffenden Wunde und ertränkte, was ein Schrei hätte werden sollen. An seiner Stelle kam nur ein blubberndes Röcheln aus dem blutüberspülten Spalt, der bis an den Halswirbel reichte.
Der Mörder stellte sich hinter den erschlaffenden Körper, fing ihn auf, zog ihn vom Straßenrand weg und schleppte ihn in die Brandruine. Dabei achtete er darauf, dass das Blut, das noch immer aus der riesigen Wunde sickerte, möglichst nicht seine Kleidung beschmutzte. Doch ganz vermochte er es nicht zu verhindern.
Er wusste genau, wo in der Ruine er die Leiche ablegen wollte, und zwar in dem ummauerten Raum, der einst die Küche gewesen war und dessen Decke das Feuer weitgehend unbeschadet überstanden hatte. Dort schleifte er den Toten hin und ließ ihn vor einer geschwärzten Wand zu Boden gleiten.
So etwas wie Euphorie erfasste ihn, als er auf den Leichnam starrte und darauf wartete, dass seine Augen sich an die Dunkelheit in der Ruine gewöhnten.
Ein berauschendes Gefühl voll Allmacht durchströmte ihn.
Ich habe es wahrhaftig getan!
Ich habe getötet, und es war so leicht!
Und sogleich schmeichelte er sich selbst, indem er sich sagte, dass es nur deshalb leicht gewesen sei, weil er die Tat so sorgfältig geplant und dann auch ohne Zögern und weiche Knie ausgeführt hatte. Selbst ein berufsmäßiger Bravo hätte es nicht besser machen können!
Für ihn tat es nichts zur Sache, dass der Dominikaner ein vertrauensvoller, ahnungsloser alter Mann gewesen war, den zu überwältigen es weder großer Körperkraft noch sonderlicher Raffinesse bedurft hatte. Ahnungslos und vertrauensvoll würden sie alle sein; alle, die auf seiner Liste standen und damit dem Tod geweiht waren.
Nein, dass Pater Nicodemo als Erster sterben musste, hatte von Anfang an festgestanden. Das gebot die Logik seines ehrgeizigen Vorhabens. Erst musste das Haupt fallen, bevor er sich den Gliedern widmen und beherzt ausmerzen konnte, was faulig war und nicht wert, am Leben zu bleiben.
Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu den anderen, deren Tod im Dienste seiner höheren Zielsetzung unumgänglich war, und er wünschte, er könnte noch in dieser Nacht den zweiten Mord ausführen und einen weiteren Namen von seiner inneren Liste streichen. Was natürlich ein Unding war, selbst wenn sich eine Gelegenheit geboten hätte.
Er musste seinen Taten Zeit lassen, jene Wirkung zu entfalten, von der das Gelingen seines Vorhabens im Ganzen abhing. Am Ende hatte sich alles zu einem bestimmten, unzweideutigen Bild zusammenzufügen. In der Umsetzung des Plans musste jeder einzelne Mosaikstein am richtigen Ort sitzen, damit es später keine Leerstelle gab, damit nichts das Bild störte, das er mit Blut zu zeichnen gedachte.
Der Anfang war nach der langen Zeit des Grübelns und gewissenhaften Planens endlich gemacht, und es war viel einfacher gewesen, als er erwartet hatte. Das nahm er als gutes Omen und als Hinweis darauf, dass er den richtigen Weg gewählt hatte.
Hatte er andererseits nicht schon immer gewusst, dass Töten und Blutvergießen ihm leicht von der Hand gingen, einfach weil sie ihm im Blut lagen?
Er seufzte.
Nun ja, dieser Teil – das Töten und Blutvergießen – war leicht gewesen. Was jetzt kam, war etwas ganz anderes und würde ihm zweifellos weit weniger gefallen.
Aber was getan werden
Weitere Kostenlose Bücher