Der Todesengel von Florenz
Gott mehr, als selbst der nachsichtigste Mann einfach so hinnehmen kann! Wie gern hätte ich meinen Gästen schon jetzt einige Proben Eures Könnens gezeigt!«
»Die Hölle ist der einzige Ort, an dem der Mensch all seine Vorhaben und Wünsche erfüllt findet, Signore«, erwiderte Pater Angelico. »Zudem hätte es Euch jederzeit freigestanden, Euren Auftrag zurückzuziehen und einen anderen Maler mit der Arbeit zu betrauen!«
»Da sei der Leibhaftige vor!«, rief der Wollfabrikant erschrocken. »Aber genug davon. Nun nehmen die Dinge ja wohl endlich ihren vorgesehenen Lauf. Deshalb wollen wir die Unannehmlichkeiten, die zu der Verzögerung geführt haben, vergessen. Sagt mir lieber: Wann kann ich damit rechnen, dass Ihr hier Euer erstes Fresko anbringt?«
»In einigen Tagen, nehme ich an«, antwortete Pater Angelico vage, während Lucrezias helles Lachen an sein Ohr drang. Diesmal klang es weder spröde noch spöttisch, sondern so, als fühle sie sich köstlich unterhalten. Das wurmte ihn, und die Tatsache, dass das so war, gefiel ihm noch viel weniger. »Wie lange es dauert, ein Fresko aufzutragen, ist nicht so einfach zu kalkulieren wie die Zeit, die man braucht, um eine Stoffbahn aufzurollen.«
»So einige Tage.« Marsilio Petrucci schien einigermaßen zufrieden. »Gut, dann könnte die Zeit, die meine Gäste hier verweilen, vielleicht ausreichen, damit sie vor ihrer Abreise noch einen Eindruck davon gewinnen, was hier eines hoffentlich baldigen Tages in voller Schönheit zu sehen sein wird.«
Pater Angelico nickte. »Besser heute ein Ei als morgen eine Henne.«
Marsilio Petrucci schaute irritiert drein, als wisse er nicht recht, ob er sich über die Bemerkung ärgern oder darüber lachen sollte. Er entschied sich für Letzteres, denn sein Selbstbewusstsein schloss kategorisch aus, dass ein Mönch sich über ihn lustig machen könnte. »In der Tat, in der Tat. Aber liefert ein prächtiges Ei, das ebenso Euch zur Ehre gereicht wie meinem Haus!«, verlangte er und klopfte dem Mönch gönnerhaft auf die Schulter. »Und jetzt will ich Euch nicht länger von der Arbeit abhalten. Bestimmt drängt es Euch nach so langer künstlerischer Enthaltsamkeit, Euch mit ungebremster Kraft ans Werk zu machen!« Damit nickte er ihm noch einmal zu und kehrte zu seinen französischen Hausgästen zurück.
Lucrezia, der ihr Vater den Arm um die Schultern gelegt hatte, drehte sich in der Tür noch einmal nach Pater Angelico um und schenkte ihm einen rätselhaften Blick. Er wusste nicht recht zu sagen, ob eine Warnung darin lag oder eine stumme Beschwörung. Das eine beunruhigte ihn so sehr wie das andere.
21
D en Mann, der im Canto del Gallo allein an einem Tisch vor dem einzigen Fenster der Schenke saß und gedankenverloren in seinen Humpen Dünnbier starrte, hätte selbst seine eigene Mutter schwerlich wiedererkannt.
Er hatte sich einen sorgfältig getrimmten Vollbart aus Echthaar ins Gesicht geklebt, den er sich schon Wochen zuvor bei einem Perückenmacher drüben in Santo Spirito, auf der anderen Seite des Arno, gekauft hatte. Auf seiner Nase saß eine Brille mit einfachem, etwas verbogenem Drahtgestell, deren rechtes Glas quer durch das Rund gesprungen war. Die Brille hatte er bei einem rigattiere erstanden, der seinen Trödelladen in den feuchten Kellerräumen eines Hauses auf der Via dell’Oche betrieb. Um sich noch weiter abzuschirmen, hatte er die Kapuze seines schwarzen Umhangs nicht zurückgeschlagen. Sie fiel ihm weit in die Stirn und tauchte sein Gesicht in tiefen Schatten.
Keiner der wenigen Gäste, die weiter hinten im Raum saßen, in der Nähe des wärmenden Kaminfeuers, schenkte ihm Beachtung. Niemand ahnte, dass dies der Mann war, der den Mönch von San Marco umgebracht und verstümmelt hatte – und hier in der Taverne darauf wartete, seine zweite Bluttat verüben zu können.
Die müden Tagelöhner und Handwerker, die jetzt, bei Anbruch der Dämmerung, von der Arbeit kamen, hatten anderes im Sinn, als einem einsamen Zecher, dem offensichtlich nicht nach Gesellschaft zumute war, Aufmerksamkeit zu schenken. Ihnen war wichtig, dass möglichst schnell der erste Krug Wein oder Bier auf ihren Tisch kam und dazu eine herzhafte Mahlzeit. Dann wurde zu Würfeln und Kartenspiel gegriffen.
Von seinem Platz am offenen Fenster aus hatte der Mann einen ungehinderten Blick auf die gegenüberliegende Seite der Via Sant’Anna. Dort hatte ein Schlachter seinen Laden, und direkt daneben lag das Geschäft des fallimagno
Weitere Kostenlose Bücher