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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Brille zog er sich von der Nase und stopfte sie mitsamt dem Bart in die Innentasche seines dunklen Umhangs.
    Er erreichte die Tür nur Sekunden bevor Bartolomea ihm zuvorkommen und von innen den Riegel vorschieben konnte. Und kratzbürstig und ungehobelt, wie sie war, traute er ihr sehr wohl zu, dass sie ihn dann nicht mehr einlassen würde.
    Entschlossen, die einmalige Gelegenheit, die sich an diesem Abend bot, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, öffnete er die Tür, trat in den Laden und schloss die Tür sogleich wieder. Direkt dahinter blieb er stehen, tastete nach dem Riegel in seinem Rücken und schob ihn behutsam in seine Eisenhalterung am Rahmen.
    »Frau Bartolomea, wie schön, Euch doch noch anzutreffen!«, rief er munter und mit einem breiten Lächeln, von dem er hoffte, sie möge sich davon geschmeichelt fühlen. »Ich fürchtete schon, ich könnte zu spät dran sein!«
    Bartolomea Calvano hatte soeben die Klappe in der Ladentheke anheben und dahinter hervorkommen wollen. Mit unwirscher Miene hielt sie nun inne. »Das seid Ihr auch!«, bellte sie. »Ich wollte gerade schließen!«
    Er legte noch mehr Liebenswürdigkeit in seine Stimme und lächelte beharrlich. »Nun, dann habe ich heute ja meinen Glückstag. Denn nichts bereitet mir größere Freude, als Euch aufsuchen und eines Eurer außergewöhnlich kunstvollen Wachsbilder in Händen halten zu können!« Es kostete ihn einige Überwindung, diesem verfressenen und versoffenen Lästerweib, das – dick und aufgeschwemmt wie der Kadaver einer fetten Ratte – in einer dreckigen, mit Wachs verschmierten Flickenschürze vor ihm stand, derart Honig ums Maul zu schmieren.
    »Den Gang hättet Ihr Euch sparen können!«, knurrte sie. »Das Wachsbild, das Ihr bestellt habt, ist noch nicht fertig. Nächste Woche, hab ich gesagt. Also kommt dann wieder! Und wenn es nicht zu viel verlangt ist, nicht gerade zum Ladenschluss! So, und jetzt muss ich zurück in die Werkstatt. Ich habe einen Kessel Wachs auf dem Feuer und noch eine Menge zu tun!«
    Er machte ein betrübtes Gesicht. »Oh, das muss ich falsch verstanden haben, werte mona Bartolomea.« Und wieder lächelte er sie an. »Aber sagt, dürfte ich vielleicht einen Blick in Eure Werkstatt werfen und Euch ein wenig bei der Arbeit zusehen? Das würde mich brennend interessieren!«
    Die Wachsbildnerin, auf deren feister Oberlippe schwarzer Haarflaum stand, starrte ihn an, als habe er sie aufgefordert, ihr dreckiges Gewand zu heben und ihm einen Blick auf ihren fetten Leib zu gewähren.
    Er sah schon die schroffe Abfuhr auf ihren Lippen, doch bevor sie sie aussprechen konnte, hielt er bereits den Silberflorin in der Hand und fuhr schnell fort: »Hier, es soll Euer Schaden nicht sein!« Dabei schob er ihr die Münze über den Tresen.
    Sie starrte ungläubig auf den Silberflorin, zögerte einen Moment und griff schließlich rasch danach. »Ihr feinen Herren! Mag der Henker wissen, was Euch manchmal durch den Kopf geht«, brummte sie kopfschüttelnd und ließ die Münze unter ihrer Schürze verschwinden.
    »Sprecht besser nicht vom Henker, Mona Bartolomea, auf dass sein Schatten nicht über Euch fällt«, erwiderte er launig und zwinkerte ihr zu.
    Sie verzog keine Miene. »Ich habe schon bessere Scherze gehört«, brummelte sie und schlug die Klappe in der Ladentheke zurück. »Und jetzt kommt! Aber denkt nicht, dass Ihr mir den ganzen Abend stehlen könnt!«
    »Habt keine Sorge! Mit ein paar Minuten ist mir schon vollauf gedient«, versicherte er wahrheitsgemäß und folgte ihr in die Werkstatt. Sorgfältig drückte er die Tür hinter sich ins Schloss.
    Der Raum, in dem es intensiv nach Talg und Bienenwachs roch, war höher als der Laden. Vier schwere Vierkantbalken, die die Decke trugen, unterteilten die Werkstatt in verschiedene Bereiche. Zur Linken fiel der Blick auf zwei schmale Werkbänke, auf denen mehrere unterschiedlich große und unterschiedlich weit gediehene Wachsbildnisse lagen. Werkzeuge hingen in langen Reihen an der Wand. Nahe der Tür standen Kisten mit Kerzen aller Art auf dem Boden. In der Mitte des Raumes, genau in dem Quadrat, das die Balken dort bildeten, waren auf einem weiteren Werktisch mehrere Eisenformen aufgereiht. Und rechter Hand befand sich die gemauerte Feuerstelle mit dem Rauchabzug. Dort blubberte heißes Wachs in einem schmiedeeisernen Kessel, der auf einem Eisengitter über dem Feuer stand.
    »Weiß der Teufel, was Ihr hier zu sehen erwartet«, grummelte Bartolomea verständnislos,

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