Der Todesengel von Florenz
während sie zu wattierten, brandfleckigen Lederhandschuhen griff und den Kessel vom Feuer hob. »Also kommt nicht auf den Gedanken, Euer Silber zurückzuverlangen. Ihr habt es nicht anders gewollt!«
»Seid unbesorgt, alles ist so, wie ich es mir erhofft habe!«, erwiderte er, fuhr unter seinen Umhang und lockerte den Dolch mit der langen doppelseitigen Klinge, den er an der rechten Hüfte trug. Gleich war der Moment gekommen. Es kribbelte ihm schon in den Fingern.
Diesem Opfer würde er allerdings nicht die Kehle aufschlitzen. Bei dem Mönch war es ja glücklicherweise noch einmal gutgegangen, aber dennoch wollte er eine solche Sauerei nicht ein zweites Mal erleben. Nicht, dass ihm davon schlecht geworden wäre oder er plötzlich Hemmungen entwickelt hätte. Nicht die Spur! Es war einfach nur lästig gewesen, beim Setzen des Schnittes von Ohr zu Ohr aufpassen zu müssen, dass er von dem gewaltigen Blutstrom verschont blieb.
Andererseits war noch kein Meister vom Himmel gefallen, und er lernte mit jedem Mord dazu. Keiner sollte ihm nachsagen, er sei in seiner Kunst des Mordens auf dem Stand eines Anfängers geblieben.
Bartolomea war indessen mit dem Kessel an den Tisch in der Mitte getreten und goss bedachtsam heißes Wachs in die einzelnen Formen.
Zwei hätte sie noch zu füllen gehabt, als er mit einem Satz seitlich hinter sie sprang, die linke Hand auf ihren Mund presste und ihr den Dolch auf Höhe des Herzens in den Rücken rammte.
Ein erstickter Schrei prallte gegen seine Hand, als sie im Todeskampf versuchte, den Mund zu öffnen. Sie bäumte sich auf und krümmte sich ihm entgegen. Der Kessel entglitt ihren kraftlosen Händen, vergoss das restliche Wachs über die Tischplatte und polterte zu Boden.
Blitzschnell riss er den Dolch zurück und stach mit aller Kraft ein zweites Mal zu, weil er fürchtete, ihr Herz wegen ihrer Körperfülle nicht erreicht zu haben. Doch die Sorge erwies sich als grundlos. Ihr Körper erschlaffte schon, bevor der kalte Stahl erneut ganz in sie gedrungen war, und wie ein Mehlsack fiel sie mit einem dumpfen Laut auf den Dielenboden. Er musste schnell ausweichen, denn es hätte ihn angewidert, ihren Leib auffangen zu müssen.
Einige lange Sekunden verharrte er reglos neben der Leiche und lauschte. Es blieb still. Er hörte nichts als seinen eigenen schnell gehenden Atem und, wie er meinte, das erregte Hämmern seines Herzens.
Vollbracht! Zum zweiten und bestimmt nicht zum letzten Mal! Mein Plan ist so reibungslos aufgegangen, wie ich ihn ersonnen habe, beglückwünschte er sich selbst. Aber warum auch nicht, wo ich mein Vorhaben doch von langer Hand vorbereitet und mir über Wochen hinweg alles beschafft habe, was ich für die verschiedenen Taten brauche. Ich – der Todesengel – werde Florenz das Fürchten lehren und mein Ziel erreichen!
Schon im nächsten Moment rief er sich zur Ordnung. Jetzt war nicht die Zeit, sich in seinem Ruhm zu sonnen. Das konnte warten. Er hatte noch einige Arbeit zu leisten, bis der Schauplatz seiner Tat das Bild bot, das er dafür entworfen hatte.
Er holte die für Bartolomea bestimmte Tarotkarte hervor, die er sich mit einigen anderen von einer durchreisenden Zigeunerin nach seinen Wünschen hatte malen lassen. Daneben legte er die vier mitgebrachten Nägel; drei waren länger als seine Hand, der vierte entschieden kürzer und dünner. Ein Blick auf die Wandborde mit den Werkzeugen hinter den beiden schmalen Werkbänken sagte ihm, dass wie erwartet alles, was er für seine weiteren Aufgaben benötigte, vorhanden war. Als er um den Tisch herumging, berührte seine Hand kurz die Stelle, wo Wachs über die Kante geflossen war. Er zuckte zusammen, als er mit dem heißen Material in Berührung kam.
Dann machte er sich an die Arbeit.
22
D ie Mönche von San Marco hatten sich zur Komplet im Chorgestühl der Klosterkirche versammelt. Der Gesang ihres Chorgebetes erhob sich mit der melodischen Perfektion und Leichtigkeit jahrzehntelanger Übung von den Stallen hinauf ins Gewölbe. Und wenn es denn dem Allmächtigen gefiel, verharrte ihr Lobpreis nicht im Kirchenschiff, sondern überwand alle irdischen Barrieren und stieg bis in die himmlischen Sphären empor.
Pater Angelico legte besondere Inbrunst in die gesungenen Psalmen, Hymnen und Antiphonen. Er hatte allen Grund, dem Schöpfer seine Sünden zu bekunden und Gnade und Barmherzigkeit zu erbitten. Die Begegnung mit Lucrezia und das, was sie in ihm ausgelöst hatte, hingen wie ein dunkler
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