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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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abzulegen. »Ich hoffe, es geht Euch so gut, wie Ihr ausseht.«
    Betörend sah sie aus!
    Sie trug eine langärmelige, geschlitzte cioppa aus safrangelbem Samtbrokat, die sparsam, dafür aber umso wirkungsvoller mit Goldfäden durchwirkt war. Durch die Schlitze ihres edlen, eng anliegenden Obergewandes, das ihre grazilen, anmutig weiblichen Formen wunderbar zur Geltung brachte, leuchtete die cremefarbene Seide ihres Unterkleides. Ihre Haube, die für eine unverheiratete Frau ungewöhnlich viel von ihrer honigblonden Lockenpracht preisgab, war aus gestärktem flämischen Leinen gearbeitet und bestach durch ihre elegante Schlichtheit. Wie üblich trug sie einen Schal – diesmal einen aus feinster, kastanienbrauner Spitze – mehrfach locker um den Hals geschlungen.
    Im Gegensatz zur Mehrzahl florentinischer Frauen von Rang trug sie keinerlei Schminke. Nicht einmal das feine Pulver aus zerriebenen Perlen minderer Qualität, das der Haut einen besonderen Schimmer verlieh und sich so großer Beliebtheit erfreute. Sie hatte es nicht nötig – ebenso wenig, wie sie darauf angewiesen war, ihre Haare zu bleichen und mit der Brennschere in Locken zu zwingen, um der vorherrschenden Mode Genüge zu tun. Ihr Gesicht war rein, ebenmäßig und auch ohne die gängigen Schönheitsmittel von frischem, jugendlichem Zauber.
    Ihre Augen, grün wie makellose Malachite und von winzigen Goldsplittern gesprenkelt, blitzten ihn an. »Mir geht es so gut, wie es einer alten Jungfer nur gehen kann, wenn ihr Vater vorhat, sie demnächst hinter Klostermauern lebendig zu begraben, Pater Angelico«, erwiderte sie auf die ihr eigene unverblümte Art, die mit der Schicklichkeit und Sittsamkeit, die von Töchtern vornehmer Familien erwartet wurden, so gar nichts gemein hatte. »Sowie meine liebreizende Stiefmutter beim ersten warmen Frühlingswetter mit ihren beiden Kindern von ihrem Winteraufenthalt bei ihrer Familie in Venedig zurück ist, wird mein Schicksal besiegelt sein! Worüber sollte ich also klagen? Darf ich mich doch bald für den Rest meines Lebens unter dem Joch einer vertrockneten Äbtissin, der man das Amt gekauft hat, und den Gemeinheiten verbiesterter älterer Mitschwestern voll Dankbarkeit dem Lobpreis Gottes widmen!«
    Er sah die Ohnmacht und den Schmerz in ihren Augen und war einmal mehr zutiefst angerührt. Ihr Vater hatte sich auf das unablässige Drängen ihrer Stiefmutter hin entschlossen, sie in Kürze in ein Nonnenkloster zu geben. Dass nachgeborene oder sogenannte überzählige Töchter aus gutem Haus, die nur mit einer hohen Mitgift zu verheiraten gewesen wären, gegen ihren Willen den Schleier nehmen mussten, um ihre Familie nicht zu ruinieren, war eine ebenso verbreitete wie abscheuliche Sitte im ganzen Land. In Lucrezias Fall kam noch das Unglück hinzu, dass sie von unterhalb des rechten Ohrs bis hinunter zur Brust von dunklen Brandnarben gezeichnet war, Folge eines tragischen Unfalls mit einem glutgefüllten Heizbecken, den sie in Kindertagen erlitten hatte. Deshalb verhüllte sie ihren Hals stets mit einem Schal.
    Sie selbst nannte sich mit bitterem Sarkasmus »schadhafte Ware«, die auf dem Heiratsmarkt von Florenz selbst mit einer außerordentlich hohen Mitgift nicht standesgemäß loszuschlagen sei. Zudem bestand Marsilio Petruccis zweite Frau, mit der er inzwischen zwei weitere Kinder hatte, kategorisch darauf, Lucrezia so schnell wie möglich aus dem Haus zu schaffen – allerdings ohne das Vermögen zu schmälern, das sie ihren eigenen Kindern als Erbe zu sichern gedachte.
    »Ihr seid mit neunzehn alles andere als eine alte Jungfer«, widersprach er wenig geistreich, obwohl er nur zu gut wusste, dass junge Mädchen oft schon mit zwölf ihrem künftigen Ehemann versprochen und im Schnitt zwei, drei Jahre später verheiratet wurden. In Anbetracht dessen traf Lucrezias Selbsteinschätzung sehr wohl zu, wenn auch nur, was ihr Alter betraf.
    Ein müdes Lächeln flog über ihr Gesicht. »Ihr wart noch nie ein begabter Schmeichler, und das gereicht Euch wahrlich nicht zum Nachteil, Pater Angelico. Also versucht Euch nicht in etwas, auf das Ihr Euch nicht versteht und worauf ich keinen Wert lege«, sagte sie überraschend milde. Es war, als seien ihre Bitterkeit und alle unausgesprochenen Vorwürfe wie warmer Teig bei kalter Zugluft in sich zusammengefallen. »Ihr wisst so gut wie ich, dass ich recht habe.«
    Unbehaglich zuckte er die Achseln. »Lasst uns nicht wieder von Dingen reden, die nicht zu ändern sind, weil

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